Der Königsschlüssel - Roman
Scheiben der hohen gebogenen Fenster waren von einem grünen Hauch durchzogen, und jeder Teppich hatte zumindest grüne Fransen. Gemälde von fremdartigen Wesen und dampfenden Töpfen und Tiegeln hingen an den Wänden, die Treppen waren breit, und in einem kleineren Spiegelsaal durften sie nur auf die grünen Fliesen des Schachbrettbodens treten.
Auf einem Fensterbrett standen zwei halb geleerte Gläser, und über einem Stuhl hing ein dunkelroter Mantel.
Doch trotz dieser Anzeichen begegnete ihnen erneut kein einziger Mensch. Sie passierten die offene Tür zur Küche, und Velas Gefühl, dass es doch noch weitere Bewohner geben musste, wurde stärker. Über dem Feuer hing ein großer bronzener Kessel, in dem etwas kochte, und auf dem langen Tisch war Gemüse ausgebreitet - viel mehr, als eine Person allein essen konnte.
Ab und zu warf Cephei ihr einen Blick zu, als mache er sich Sorgen, dass sie sich jeden Moment in eine Kröte verwandeln könnte. Die Sache mit dem Hexenhandel war ihm wohl nicht geheuer. Sie war ihr ja nicht mal selbst geheuer.
Schließlich stiegen sie eine gewundene Treppe in den Keller hinab. Es war sauber und aufgeräumt, die Stufen mit dunkelroten Fließen ausgelegt. Die Wände waren warm und heizten die Luft auf. Schließlich erreichten sie eine eherne Tür, in die eine Flamme graviert war, und Aniba zog sie auf.
Dahinter lag eine großräumige Schmiede, die viel reichhaltiger ausgestattet war als die ihres Großvaters. Vela staunte. Sie blickte sich um und sah alle Werkzeuge, die sie kannte, und einige mehr.
»Hier sind die alten Schlüssel. Ich hebe sie aus Nostalgie auf.« Aniba deutete auf einen Haufen in einer Ecke. »Das waren alles besondere, außergewöhnliche Schlüssel. Ich denke, daraus kannst du einen guten Ersatz machen. Manche sind sogar auch aus Sternengold wie der Königsschlüssel. Und da ist die Esse. Töpfe siehst du, die Feilen hängen dort, Hammer daneben. Feuer brauchst du keines, heb den schwarzen Deckel dort drüben mit der Winde vom Boden. Darunter fließt der Lavastrom, seine Hitze kommt hier hoch. Sie ist durch einen Zauber gebändigt und doch heißer als ein normales Feuer. Mit normalem Feuer könntest du diesem Sternengold sowieso nichts anhaben.« Aniba sah
auf den Königsschlüssel. »Ich habe ihn mit einem Schutzzauber belegt, versuch also nicht, ihn aus Ärger auf mich zu zerstören. Versuchst du es, werfe ich dich in den Lavastrom. Das wollte ich gesagt haben, nur für den Fall. Benötigst du sonst noch was?«
Vela schüttelte den Kopf, benommen von der beiläufigen Drohung, in die Lava geworfen zu werden. Wieso sollte sie den Königsschlüssel zerstören wollen? Verstand Aniba denn gar nichts?
Doch Cephei sagte: »Vielleicht einen Happen zu essen? Das wäre nicht schlecht.«
Die Hexe lächelte, und zum ersten Mal wirkte das Lächeln freundlich. Als hätte es die Drohung eben gar nicht gegeben. Hatte sich Vela das eingebildet?
Mit einer beiläufigen Handbewegung ließ Aniba zwei Teller und zwei gefüllte Schüsseln in der Luft erscheinen, die langsam auf der Ablage landeten. Ein paar breite grüne Nudeln hingen über den mit schwarzen Dornen verzierten Rand der einen Schüssel, aus der anderen strömte würziger Bratenduft. Irgendein Wild.
»Das müsste ich in der Gaststube können. Dann würde der Besen von allein fegen, die Krüge könnte ich einfach auf die Tische zaubern, und Dorado«, Cephei lachte, »würde ich einfach in eine Maus verwandeln. Oder in einen Frosch, wenn das die Tradition verlangt.«
Aniba sah ihn verwirrt an und verließ die Schmiede.
»Sag mal, hast du die Drohung auch gehört?«, fragte Vela Cephei, der sich gerade Nudeln und Fleisch auf einen Teller häufte.
»Nicht genau. Irgendwas hat sie gesagt, aber ich hatte das Gefühl, es galt dir.«
»Danke! Vielen Dank!« Was Aniba auch gesagt hatte, Vela würde nicht versuchen, den Schlüssel zu stehlen. Sie war sicher, Aniba würde das bemerken. Sollte ihr der Schlüssel nicht gelingen, müssten sie einen neuen Plan fassen, doch jetzt musste alle Konzentration der Kopie gelten.
Sie ging hinüber zu den alten Schlüsseln. Wie Aniba gesagt hatte, waren ihre Bärte geschmolzen, und sie waren zu nichts mehr zu gebrauchen. Einen nach dem anderen nahm sie in die Hand, wog ihn sorgfältig und verglich ihn mit dem Königsschlüssel. Nach einer ganzen Weile entschied sie sich für einen, der dem Königsschlüssel möglichst ähnlich sah und der ebenso leicht war wie dieser. Mit ihm
Weitere Kostenlose Bücher