Der Königsschlüssel - Roman
fragte sie leise.
Urs sah sie an und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht eine Kuh, die von einem Bauer geführt wird.«
»Aber die meisten Bauern, die wir getroffen haben, hatten keine Tiere bei sich«, warf Cephei ein und verstummte dann. Also lagen hier wahrscheinlich die Knochen eines Menschen. Cephei schauderte, aber er musste sie einfach anstarren. Das da drüben könnte der Oberschenkelknochen eines großen Mannes gewesen sein. Er konnte den Blick nicht abwenden.
»Aber müssten dann hier nicht Kleidungsstücke, ein Rucksack oder andere Dinge liegen, die so ein Vogel nicht frisst?«, fragte Vela hoffnungsvoll.Urs sah sie an, als denke er kurz darüber nach, sie zu belügen. Dann schüttelte er den Kopf. »Die Menschen sind hier arm. Wenn sie etwas finden, das sie vielleicht noch gebrauchen können, nehmen sie es mit.«
»Auch die Kleidung eines Toten?«
»Wie gesagt, sie sind arm.« Langsam erhob sich Urs und nickte ihnen zu. »Lasst uns gehen, viel mehr gibt es hier wohl nicht zu sehen.«
Eine lange Weile schwiegen sie, bis sie den Rand des Dorfes erreichten. Auf den ersten Blick sah es aus wie jedes andere, doch als sie an den ersten Häusern vorbeigingen, merkten sie, dass eine seltsame Stille über allem lag.
Als sie eine große Scheune mit verwitterten Wänden und einem moosbedeckten Strohdach passierten, deren Tor weit offen stand, sahen sie eine verhärmte Bäuerin, die eine kleine, dürre Zicke am Strick herausführen wollte. Urs hob die Pranke zum Gruß, und einen Moment lang blickte die Frau sie mit verhuschten Augen an, doch dann verschwand sie wieder im Dunkel der Scheune. Die Zicke blökte, ließ sich aber mitzerren.
Cephei warf Urs einen erstaunten Blick zu, der nur mit der Schulter zuckte. »Griesgrämige Frauen gibt es überall.«
Doch in diesem Dorf schien es besonders viele zu geben, auch griesgrämige Männer und Kinder. Jeder Dorfbewohner, den sie sahen, musterte sie misstrauisch und blickte schnell weg. Manche spuckten aus, andere pfiffen nach ihren Hunden, keiner erwiderte ihren Gruß.
»Hier gefällt es mir nicht«, flüsterte Vela und trat dichter an Urs heran. Cephei sah, wie sie unter ihrem Hemd nach dem Hammer griff.
»Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Urs leise. »Das letzte Mal, als ich hier war, war die Stimmung ganz anders. Viel freundlicher. Sie alle waren neugierig auf Fremde.«
Schließlich erreichten sie eine kleine Schänke in der Mitte des Dorfs. Die Farbe von Tür und Festerbrettern blätterte bereits ab, doch die Wände waren frisch gestrichen, das Dach mehrmals geflickt. Zwischen Schornstein und Giebel kauerte ein großes verlassenes Vogelnest. Über dem Eingang schaukelte ein gusseisernes Schild mit drei einladenden Weinfässern.
»Hier haben wir damals gezecht, und hier sollten wir übernachten.« Urs nickte, aber Cephei war von der Idee nicht mehr so begeistert wie zu Beginn des Tages. »Nur keine Bange, ihr zwei, wir werden etwas essen, und ein Bad tut uns allen gut.«
»Was, wenn sie uns überfallen und …« Vela flüsterte ihm den Rest des Satzes ins Ohr, aber Cephei konnte sich denken, was sie sagte. Wer die Kleidung eines Toten stahl, hatte sicherlich auch keine Skrupel, eine Gruppe noch lebender Wanderer auszurauben. Cephei fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, die ganze Nacht ein Auge offen zu halten. Was nützte schon ein richtiges Bett, wenn man nicht schlafen konnte?
»Ich bin ja da«, brummte Urs und schob sie zum Eingang. »Wir können heute sowieso nicht viel weiter. Wir sind müde, und in einer Stunde geht die Sonne unter. Hier haben wir die besten Aussichten auf eine warme Mahlzeit und ein richtiges Bett. Ich werde Wache halten.«
Cephei war sicher, dass Urs nur ihnen zuliebe in den Gasthof einkehrte, aber in diesem Moment wäre es ihm lieber gewesen, sie würden unter freiem Himmel übernachten.
Nacheinander betraten sie das Halbdunkel der Schänke, und sofort schlugen ihnen Stimmengewirr und Tabakrauch entgegen. Auch der Geruch von Bier lag in der Luft. Doch als die Dorfbewohner die Neuankömmlinge bemerkten, verstummten sie plötzlich.
Urs räusperte sich kurz. »Seid gegrüßt.«
Niemand erwiderte den Gruß, nicht einmal ein kurzes Nicken oder ein Lächeln wurde ihnen geschenkt, nur verkniffene, kalte Blicke. Der Bär schob Cephei und Vela in eine Ecke an einen freien Tisch, und die beiden quetschten sich auf die Bank am
Fenster, während Urs auf dem Stuhl neben ihnen Platz nahm, der bedenklich unter
Weitere Kostenlose Bücher