Der Königsschlüssel - Roman
machen wir einen großen Bogen um Hexen! Ich will nicht noch mal verhext werden. Wer weiß, was wir dann machen. Beim kleinsten Anzeichen für eine Hexe hauen wir ab.«
Urs nickte, und die beiden stiefelten entschlossen weiter, während Vela ihnen in kurzem Abstand folgte und überlegte, wie sie ihnen möglichst schonend von Aniba erzählen konnte …
UNTER FREIEM HIMMEL
Drei Tage später erreichten sie das Ende des Waldes. Es war später Vormittag, als sie seinen Schatten verließen, und die Sonne leuchtete so hell, dass sie eine Weile unter den letzten Bäumen rasten mussten, bis sich ihre Augen langsam an das Licht gewöhnt hatten. Dann traten sie hinaus. Cephei kniff die Augen noch immer ein wenig zusammen, die Sonne war einfach zu grell.
»Sieht gar nicht so viel anders aus als bei uns«, staunte Vela, als sie die weite Ebene vor sich sah, auf der sich nur hin und wieder ein Hügel erhob. Am Waldrand führte eine befestigte Straße nach Osten und Westen, die der auf der anderen Seite ähnelte. Ein gutes Stück westlich entdeckten sie eine richtige Straße, die fast schnurgerade nach Süden führte, direkt auf ein Dorf zu, das sie in einiger Entfernung sehen konnten. Gut sichtbar erhob es sich auf einem Hügel.
Während sie auf die Straße zugingen, deutete Cephei auf eine dunkle, tief hängende Wolke am Horizont, die ihm nicht gefallen wollte. »Ich hoffe, die kommt nicht auf uns zu, sonst sehen wir bald aus wie durchgeweichte Ratten. Warst du schon mal in dem Dorf, Urs?«
»Einmal, ja. Es sind arme Leute, die dort leben, aber freundliche. Unsere Wasservorräte können wir dort sicher auffüllen und auch wieder etwas Vernünftiges essen. Und vielleicht sollten wir uns eine Übernachtung leisten.«
Cephei nickte versonnen. Das Wetter war herrlich, und er hatte schon öfter auf hartem Boden geschlafen. Trotzdem erschienen
ihm ein richtiges Bett und eine warme Mahlzeit in einem Wirtshaus verlockend.
»Aber woher wissen wir, dass wir dieser Straße folgen müssen?«, fragte er, als sie die Abzweigung erreicht hatten. »Vielleicht müssen wir noch ein Stück den Waldrand entlanggehen.«
Urs kratzte sich am Kopf. »Keine Ahnung, wohin die andere Straße führt. Ich denke, wenn wir bis zu dem Dorf gehen, können wir die Leute dort nach dem Schlüssel und dem Vogel fragen.«
»Wartet.« Vela kaute auf der Unterlippe und sah zwischen den Straßen hin und her, dann setzte sie den Rucksack ab und holte eine Kiste hervor, die Cephei noch nie bei ihr gesehen hatte. Als sie den Deckel anhob, sah er ihr über die Schulter und holte tief Luft.
»Was ist das denn?«
»Raumgeister.« Stockend erzählte sie, wozu sie fähig waren und dass Serpem sie ihr geschenkt hatte. Dabei zupfte sie nervös an den Fransen ihres kurzen Haars.
Ungläubig wollte Cephei wissen: »Hast du nicht gesagt, wir dürfen ihr nicht vertrauen? Und jetzt lässt du dir von ihr Geschenke machen?«
Vela vermied es, ihm in die Augen zu sehen. »Serpem hat gesagt, sie führen uns zu dem Vogel.«
»Und du glaubst ihr?«
»Das hast du schließlich auch.« Trotzig starrte sie auf den Horizont, und Cephei stupste skeptisch den roten Raumgeist an. Eine kleine Flamme wickelte sich um seinen Finger, aber an der Haut spürte er nur wenig Wärme. Der Raumgeist hob die Arme und fuchtelte mit ihnen herum, und obwohl Cephei kein Gesicht erkennen konnte, hatte er den Eindruck, dass der kleine Kerl es nicht mochte, wenn er angestupst wurde.
Wohl fühlte sich Cephei nicht, wenn er an Serpem dachte. Sie musste irgendeinen Bann auf ihn gelegt haben, denn anders konnte er es sich nicht erklären, dass er keinen einzigen Gedanken an Verteidigung oder Flucht verschwendet hatte. Dabei hatte Urs bei seinen Geschichten doch immer wieder erklärt, wie wichtig die Verteidigung in einem Kampf war! Doch dem Bären war es ja selbst nicht besser ergangen. Blindlings hatten sie Serpem gehorcht. Cephei schauderte, wenn er daran dachte.
Vela nahm den Bindfaden, der ihre Schlafdecke zusammenhielt, und band ihn dem Raumgeist um den Bauch, der sich in ihrer Hand wand wie ein Wurm, aber nicht entkam. Vorsichtig setzte sie ihn auf die Straße und wartete, wohin er laufen würde. »Komm, geh heim«, forderte sie ihn auf.
»Du meinst, das klappt wirklich?«, fragte Cephei, doch bevor sie etwas erwidern konnte, lief der Geist auch schon los. Es sah lustig aus. Mit kleinen, schnellen Schritten nahm er ohne zu überlegen den Weg nach Südosten. Dabei setzte er die Füße so rasch
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