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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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zwischen ihren Beinen. Hab ihn gleich erkannt. Rote Haare mit Glatze.
    Bin in die Küche gegangen, hab die Herdplatte angemacht … Elektroherd … Hab da gesessen und eine Zigarette geraucht. Bei mir hat die nie so gejapst. Wie ein Hund. Da hab ich ein Messer genommen und wieder hingelegt. Ich hab das Hackebeil genommen. Wieder hingelegt. Bin wieder rein ins Schlafzimmer, ohne was. Liegtse immer noch im Bett. Der Hausmeister auf ihr drauf. Macht Liegestütze auf meiner Madame.
    Ich bin hin. Habse gepackt und ab in die Küche und auf die heiße Herdplatte gesetzt.«
    Beide schweigen.
    Rhett ist froh, dass er nicht mit der Arschwissenschaft angefangen hat.
    »Die hat vielleicht geschrien«, sagt Bud. Er grabbelt eine Camel aus der Packung.
    »Auch eine?«
    Rhett, der seit Jahren nicht mehr raucht, nickt.
    »Und der Hausmeister?«, fragt er und zündet die Zigarette an.
    »Treppe runtergeschmissen. Nix weiter. Paar Finger gebrochen, paar Rippen gebrochen. Gewimmert hat der, ich soll ihm nix tun. Pfeife.«
    Bud nestelt an der Packung. »Vermisse die Kinder«, murmelt er. »Zwei Kids, zwei Jungs, ganz der Papa. Und du? Hast du ’ne Madame?«
    »Ja.« Rhett ist schwindelig. Seine Knie werden weich. Er hockt sich hin. »Hab eine.«
    »Was is’n los?«
    »Kreislauf.«
    »Jung?«
    »Kein kleines Mädchen mehr.«
    Bud Brown lacht dreckig. »Und, spurt sie?«
    »Klar.« Rhett streckt die Brust heraus.
    »Gut so«, sagt Bud. Er nickt langsam und nachdrücklich. »Richtig so. Sollen ja nicht zu übermütig werden, die Hühner.«
    Die beiden Männer schweigen und rauchen.
    »Na, dann mal an die Arbeit«, sagt Bud und wirft seine Kippe in einen Wassereimer. Es zischt. »Schon mal ’ne Decke gestrichen?«
    Rhett schüttelt den Kopf.
    Den Macho-Test hat er bestanden. Beim Deckenstreichtest wird es schon schwieriger. Hier ist die Hand gefragt. Der Kopf hat Pause.
    An der 135. Straße steigen die beiden Jugendlichen aus. Der blinde Mann mit dem Hund steigt aus. Sonnie steigt aus. Es ist bereits dunkel. Sie hält den Koffer in der Hand. Heftige Windböen pfeifen ihr entgegen, als sie die Treppe hinaufsteigt. Gestalten stehen in Hauseingängen, sitzen in parkenden Autos, lungern an Zäunen, Wänden, Baracken. Leere Kartons und zerbrochene Regenschirme wehen über die Straße. Sonnie zieht Rhetts Trenchcoat, unter dem sie ihren Gipsarm verbirgt, am Kragen zusammen.
    »Entschuldigung«, fragt Sonnie die Jungs. »›Balou’s Soulfood‹?«
    »Keine Ahnung«, murmeln die und laufen weiter. Sonnie war noch nie in Harlem. Sie hat die Orientierungverloren. Nach all den Jahren passiert es immer noch. Obwohl Manhattan in ein Straßengitter eingeteilt ist, muss man die Himmelsrichtung wissen, um Nord, Süd, Ost und West zu unterscheiden. Die Sonne hilft, wenn sie da ist. Aber es ist keine Sonne da. Das Empire State Building hilft, wenn man es sehen kann. Aber es ist nicht zu sehen.
    Sonnie dreht sich im Kreis. Wo ist Uptown, wo Downtown?
    »›Balou’s Soulfood‹ ist gleich da drüben«, flüstert es. »Überqueren Sie diese Straße, gehen Sie links, dann laufen Sie genau drauf zu.«
    »Danke«, ruft Sonnie, dreht sich um und erkennt im Wegweiser den blinden Mann aus der Subway. Er nimmt die Brille ab und lächelt ihr zu. Die Straßenlaterne spiegelt sich in seinen weißen Zähnen, in seinen blauen Augäpfeln.
    Sonnie dreht sich um. Die Ampel ist rot, aber die Straße ist frei.
    Sonnie überquert die Strasse. Ihre Mutter hat sie gefunden damals. Sie hat sie gerettet. Sie hat sie gestreichelt. Sie hat geweint.
    Sie muss sie doch geliebt haben.
    Wie ein Edelstein funkelt dieser wiederentdeckte Moment durch den Nebel der Vergangenheit. Sonnie sitzt ein Kloß in der Kehle.
    Ihre Mutter ist gestorben. Ihre Mutter ist tot. Weg. Seit zehn Jahren. Und Sonnie kann sie nicht fragen: Hast du mich geliebt?
    Ein Brownstone-Haus. Ein afrikanisches Friseurgeschäft. Schwarze Matronen mit Turbanen klopfen voninnen gegen die beschlagene Scheibe und zeigen auf Sonnies Kopf. Immer wieder. Jetzt halten sie ein Foto hoch von einer Frau mit hunderten von geflochtenen Zöpfen.
    Echtes menschliches Haar steht an der Tür. Gleich nebenan »Balou’s Soulfood«. Ein Deli. Ein dicker Mann mit weißer Kochmütze schließt gerade von innen die Tür ab und dreht ein Schild um.
    Sorry, we’re closed.
    Sonnie stellt den Koffer ab und klopft. Der dicke Koch schüttelt den Kopf.
    »Wo ist der Hauseingang?«, ruft Sonnie durch die Scheibe.
    Der dicke Koch schließt die Tür

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