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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Schraubstock zu befreien, aber da ist kein Schraubstock.
    Über ihr ein Gesicht. Ein bekanntes Gesicht. Sie hat das Gefühl, dass das Gesicht schon mal über ihr war. In der linken Augenbraue ist ein weißer Strich.
    »Wo bin ich? Was ist passiert? Wer sind Sie?«
    »Der Reihe nach«, sagt das Gesicht. »Du bist in der Notaufnahme. Diesmal Knock-out in der Subway.«
    »Haben wir uns nicht schon mal getroffen?«
    »Zeugen haben angegeben, du bist vom Fuß eines saltoschlagenden Subway-Artisten am Kopf getroffen worden und ohnmächtig geworden. Allerdings kann ich mir nicht erklären, wo das Veilchen herkommt. Das muss vorher passiert sein.«
    Die Stimme klingt kalt und unpersönlich. Sie kennt diese Stimme, aber in einem anderen Tonfall, in einem anderen Kontext, wärmer.
    »Dreh dich bitte um und zieh die Hose runter … ja, so … reicht … nur eine kleine Spritze.«
    Sonnie dreht sich auf den Bauch. Sie schiebt den Hosenbund über die Hüften. Sie spürt etwas Kaltes unter ihrem Hüftknochen, dann einen Stich, einen Druck, ein Stechen.
    »Was deine andere Frage betrifft …« Die bekannte Stimme, die jetzt hinter ihr ist, lacht auf, kalt und feindselig. Sie wendet ihr Gesicht zum kalten Lachen hin. Die Unterlippe des Mannes stülpt sich nach vorne. Ein Blitz der Erinnerung streift Sonnie.
    »… wir haben uns hier gestern nicht nur getroffen, sondern ich habe deinen Daumen behandelt. Wo ist eigentlich der Gipsverband? Und dann haben wir uns geliebt. Auf dieser Behandlungsliege. Wir waren heute verabredet, Sonnie. Ich habe drei Stunden im ›Café Mephisto‹ gesessen und auf dich gewartet.«
    Sonnie sieht die vorgestülpte Unterlippe. Der Kuss. Der saugende, zungenlose, hungrige Kuss. Der Körper, der muskulöse junge Männerkörper. Ihr fällt alles wieder ein. Wie hieß er noch? Ihr fällt nur Clooney ein. Er war nur ein One-Night-Stand. Wieso hatte sie sich mit ihm verabredet? Es kommt ihr vor, als sei das vor tausend Jahren geschehen. Hatte sie ernsthaft erwogen, eine Affäre mit ihm anzufangen?
    »Kommt es mir nur so vor, oder bist du feindselig?«, fragt sie.
    »Ich bin verführt worden«, sagt Clooney. »Ich bin versetzt worden.«
    Warum macht der Mann so ein Theater?, denkt Sonnie.
    »Und da ist noch was«, sagt er.
    Sonnie richtet sich auf. Ein Eisbeutel rutscht von ihrer Stirn. Sie betastet ihren Kopf. Da klebt ein Mullverband. Was hat er gesagt?
    »Eine kleine Platzwunde. Eine Schädelprellung.«
    Sie sagt nichts.
    »Das Veilchen – ich frage lieber nicht, wo du das her hast – sieht schlimmer aus, als es ist.«
    Sie sagt nichts.
    »Du bist eine Schlampe. Sonst ist alles im Lot«, sagt Clooney. »Und da ist noch was.«
    Sonnie sitzt jetzt auf der Liege. Sie sieht ihn direkt an. Warum spricht er so mit ihr? Er ist doch ein Fremder.
    »Die Ergebnisse von der Blutuntersuchung sind da.«
    Du wirst zwei bedeutungslose Affären erleben.
    »Du bist schwanger.«
    Sonnie sagt nichts. Sie schüttelt den Kopf. Sie schüttelt immer wieder den Kopf.
    Sein weißer Kittel, sein Gesicht verschwimmen vor ihren Augen.
    »Nein«, sagt sie. »Nein, das kann nicht sein.«
    Er lacht mokant. »Das Ergebnis ist ziemlich eindeutig.«
    »Unmöglich. Vollkommen unmöglich.«
    »Herzlichen Glückwunsch für dich und deinen Mann. Der kommt übrigens gleich.«
    »Wer kommt?«
    »Dein Mann. Wir haben deine Sachen durchsucht und am Funktelefon die Kurzwahl 1 gedrückt. Deine Freundin war dran, Lola …«
    »Chola.«
    »… Chola. Sie ist auf dem Weg hierher. Sie wollte ihn benachrichtigen.«
    »Meinen Mann …« Sonnie spricht die Worte aus und lässt den Klang nachhallen.
    Rhett hat ihr gestern einen Heiratsantrag gemacht. Zwischen zwei bedeutungslosen Affären, von denen er nichts weiß und nichts erfahren wird.
    »Die freudige Botschaft kannst du also selbst überbringen.«
    Es macht Sonnie Angst, wie der fremde Mann die Worte »freudige Botschaft« ausspricht. Sie denkt an die Praktikantin mit den pinken Kreolen. Sie denkt an den watschelnden Pinguin. Sie ist schwanger von einem Mann, der Rhett seit heute nicht mehr ist. Das Kind, das niemand will, ist das Produkt einer Beziehung, die so nicht mehr besteht. Aber natürlich wird es nicht geboren werden, in keinem Fall wird es geboren werden, es wird abgetrieben werden, abgesaugt, rausgeschabt, weggeschmissen.
    Gesetzt den Fall, es stimmt, was Clooney ihr da sagt. Immerhin ist er nicht nur Arzt, sondern auch ein abgewiesener Mann. Es muss mit Rache, mit einem schlechten Scherz

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