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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Central Park Nord und 96. Straße und die Uhrzeit, 01.17 Uhr …«
    Sonnie geht zurück zum Untersuchungszimmer.
    Sie steht im Türrahmen.
    Ihre Schläfen pochen.
    Rhett, Pushit und Chola sind da.
    Im Untersuchungszimmer.
    Der Größe nach, wie Orgelpfeifen. Stumm.
    You are all flops. I am the earth mother, and you are all flops.
    Rhett trägt seinen Borsalino und ein Jackett. Er nimmt den Borsalino ab. Pushit trägt ein afrikanisches Gewand. Er nickt ihr zu, klappert mit den Giraffenwimpern und sieht sich im Zimmer um. Chola trägt eine große grüne Feder im Haar und Luftballons in den Lippen.
    »Mann, Mädel, hast ja ’n Veilchen«, sagt Chola. Sie nuschelt so komisch. Sie packt Sonnie an den Schultern. Sie klatscht ihr auf die Wangen.
    Da ist eine Frau, von der du denkst, dass sie eine Freundin ist. Aber sie ist keine enge Freundin.
    »Happy Birthday«, sagt Chola. Sie zieht eine Flasche Champagner aus ihrem Cape. Sie entkorkt die Flasche. Es knallt. Chola quietscht. Sie sieht anders aus. Irgendwas ist mit ihrem Mund. Chola hält die Flasche Sonnie hin. Sonnie trinkt.
    Rhett hält den Borsalino in den Händen.
    Sonnie will Rhett die Flasche geben. Sie hält inne. Rhett ist Alkoholiker.
    »Happy Birthday«, sagt Rhett.
    Sonnie hält die Flasche Pushit hin.
    Pushit lehnt ab. »Wie alt bist du geworden?«, fragt er.
    Sonnie hält die Flasche Chola hin. Chola trinkt, aber sabbert dabei.
    Dann trinkt Sonnie wieder. »Vierzig«, sagt sie. Eine Schwangerschaft dauert vierzig Wochen, denkt sie. Sie sieht Rhett an. Der Vater ihres Kindes. Der Kindsvater. Die Feststellung bleibt wirkungslos. Keine Art von Gefühl stellt sich ein, keine Wut, keine Sentimentalität. Und da steht er. Rhett. Er wirkt weich und hilflos. Ein hoch aufgeschossenes Kind.
    Schatten an der Wand.
    Sonnie wird Rhett nichts sagen. Das Kind muss weg. Das Kind muss weg, bevor es da ist, bevor es ein Gesicht hat, einen Namen, einen Atem. Sie geht auf ihn zu und vergräbt ihr Gesicht in seinem Jackett, bedeckt ihr Gesicht vollkommen, damit er nicht darin lesen kann.
    Pushit hat den Spiegelknauf entdeckt, der aus Sonnies Tasche ragt. Er betrachtet ihn, aber rührt ihn nicht an. Er faltet die Hände vor der Brust. Er murmelt etwas. Sonnie lacht nervös auf. Sie sucht Blickkontakt zu Chola. Cholas Gesichtsausdruck über dem geschwollenen Mund ist neutral. Pushit krempelt sich die Ärmel hoch. Er packt den Handspiegel, wie man ein Reptil packt.
    »Ist der aus dem Koffer?«, fragt Pushit und hält den Handspiegel am ausgestreckten Arm.
    »Ja.«
    Sonnie lacht noch einmal, als sei sie ein Kind und dies eine Zaubervorstellung. Pushit läuft zum Waschbecken und lässt Wasser über den Handspiegel laufen. Mit der rechten Hand streicht er wieder und wieder über den Spiegel.
    Er wäscht das Gesicht der Mutter aus dem Handspiegel, denkt Sonnie und spürt den Impuls, zu weinen.
    Pushits Gesicht ist ernst, fast feierlich, als er zurückkommt. Er wendet sich Sonnie zu: »Wie oft hast du in den Spiegel gesehn, seit du – schwanger bist?«
    Alle Köpfe drehen sich gen Sonnie.
    Rhett fragt tonlos: »Ist das wahr?«
    Sonnie nickt.
    Chola nuschelt: »Ach du Scheiße!«
    Rhett setzt seinen Hut auf.
    Rhett geht.
    Er schwankt mehr, als dass er geht.
    Im Gang stößt er gegen einen jungen Asiaten im weißen Kittel.
    Rhett murmelt eine Entschuldigung. Der Weißkittel starrt ihn an.
    »Sie sind doch Arzt«, sagt Rhett. »Ich hab mich gestoßen. Das tut so weh, hier.«
    Er rafft sein Hemd hoch. Ein dunkelroter Fleck über seinem Brustbein, Spur des gestrigen Kampfes.
    »Sind Sie Rhett Montiel?«
    »Ja, woher wissen Sie …?«
    »Der werdende Vater?«
    »Ja …«
    »Das ist ja schön, dass ich in meinem Alter noch ein Geschwisterchen kriege.«
    »Wie?«
    »Ein Halbgeschwisterchen, Paps.«
    »Bitte?«
    »Gestatten? Andrew Konsompong, der Sohn von Kritika Konsompong, genannt Kiki, die vor sieben Jahren in Bangkok ans Aids starb.«
    »Was …?«
    »Hallo Daddy!« Er spricht das Wort Daddy aus, als wolle er sich übergeben.
    Kiki, denkt Rhett. Der Name bringt alles zurück. Den süßen, aggressiven Duft von Bangkok, Händler mit Hüten, Touristen mit Bäuchen. Gebratene Heuschrecken, Tuk-Tuks. Die quakenden Stimmen der Mädchen vor den Bars. Die flachen Porzellangesichter, die flachen Porzellanärsche. Und dann sah er sie. Eine Prinzessin zwischen den Nutten. Sie trug den infamen Namen Kritika und machte ihm alle Ehre. Hand in Hand waren sie in Rhetts Hotel gelaufen, die gekaufte Braut

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