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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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aus und zerrt an seinen Haaren. Sie wühlt sich durch seine Haare, die dicht sind wie Heckenrosen. Rosenblattmann mit Heckenrosenhaar.
    »Hey, was machst du da?«
    Zwei.
    Er hat zwei wohlgeformte, leicht abstehende, tiefbraune Ohren.
    »Ist das dein Fetisch? Ohren?«
    Sonnie springt auf, die Decke vor der Brust. Sie wühlt nach ihren Sachen. Sie zieht sich an. Sie ist sehr aufgeregt.
    »Ich weiß wer du bist«, ruft sie. »Du kannst mich nicht täuschen.«
    »Wovon sprichst du überhaupt, du durchgeknallte Schachtel?«
    »Du hast meinen Koffer geklaut.«
    Durchgeknallte Schachtel.
    »Elvira de Montreux hat dich geschickt.«
    »Wer? Auf was für ’nem Trip bist du denn?«
    »Du bist der Koffersohn! Natürlich! Dass ich da nicht eher draufgekommen bin!«
    »Der was?«
    »Deswegen hast du mich in dein Bett gelockt.«
    »Wenn der Schwanz steht, rennt das Hirn weg«, sagt der Rosenblattmann.
    When the dick stands up the brain runs away.
    »Du hast dich rangeschmissen. Und ich fick halt gern mal ’ne weiße Bitch.«

NEUNTES KAPITEL
    Sonnie steht an der Subway. Der Schnapsladen war schon zu. Sie hat im »Mama Rumba« gesucht. Sie hat vor dem Laden mit den Beinprothesen gesucht. Sie ist die Straße auf und ab gelaufen. Kein Koffer.
    Sie schaut hinunter in den Schacht. Zement, Holzbohlen, Gleise, hundert Jahre alt oder mehr. Zwischen ihnen glitzern tiefe morastige Pfützen. Müllberge. Verwesungsgestank. Mäuse werden von glänzenden Ratten gejagt. Die Mäuse sind flink. Die Ratten sind schlau. Sie bleiben im Hinterhalt. Sie lauern im Schatten der Gleise. Dann stoßen sie heraus. Die Rattenschwänze fegen über die Holzbohlen. Die Ratten fangen die Mäuse. Eine der Ratten hat nur noch zwei Beine, das rechte Vorderbein und das linke Hinterbein. Eine andere Ratte liegt aufgebläht auf dem Rücken, alle viere nach oben gestreckt. Sie ist tot. Die tote Ratte entdeckt Sonnie erst zuletzt. Sie ist starr und dunkel wie die Gleise.
    Die Subway fährt ein. Sie kommt aus der Bronx. Sie ist halb voll. Sonnie steigt ein. Die Blicke der Passagiere richten sich auf sie. Auf sie, die frisch gefickte weiße Bitch. Auf sie, die durchgeknallte Schachtel mit Veilchen. Die Leute sehen immer nur, was sich bewegt. Sonnie setzt sich rasch hin. Sobald sie sitzt, still sitzt, wird sie mit dem Interieur der Bahn verschmelzen wie die tote Ratte mit dem Gleis, wird sie nicht mehr beachtetwerden. Andere Passagiere werden einsteigen und die Blicke auf sich lenken. Nach wenigen Stationen werden andere Weiße einsteigen.
    Vier junge schwarze Männer steigen ein, jugendliche Subway-Akrobaten, und ein kleiner Junge. Vier Ratten, eine kleine Maus. Die Silhouette der toten Ratte, der fette starre Leib, die hochragenden Beine, erinnern Sonnie an etwas. Sie erinnern Sonnie an etwas Schönes.
    »Leute«, ruft einer der Subway-Akrobaten, »haltet bitte den Mittelgang frei. Ihr seht gleich Action.« Äkschonn.
    »Was machst du denn da mit Mucki?« Eine tiefe, raue Männerstimme. Die Stimme des Großvaters. Sonnie sieht auf. Schmunzelnd steht er vor ihr, Pullunder, rote Hosenträger, die hellbraunen Manchesterhosen in den Knien ausgebeult. In seinen Hosentaschen klimpert es. Er hält den Pfeifenkopf umschlossen. Er zeigt mit dem Mundstück auf das Meerschwein. Diese Geste. Wie der Großvater den Pfeifenkopf umschlossen hält und mit dem Mundstück auf Dinge zeigt und dabei schmunzelt.
    Die Jungen schalten einen CD-Player an. Hip-Hop. Sie bewegen sich synchron, roboterhaft. Sie klatschen im Takt. Sie fordern die Passagiere auf, zu klatschen. Eine alte schwarze Frau mit goldenem Hut klatscht im Takt. Die Jungen hangeln sich an den Haltestangen durch den Subway-Wagen. Drei von ihnen verbinden sich zu einer Art Rhönrad und rollen durch den Wagen. Sie schleudern den kleinen Jungen hoch und fangen ihn wieder auf.
    »Ich wickle ihn«, sagt Sonnie. »Mucki ist ja noch ein Baby.« Der Großvater lacht, betrachtet das Meerschwein, das ruhig auf dem Rücken liegt, mit zitterndemSchnurrbart, alle viere nach oben, und schüttelt den Kopf.
    »Guck mal, er lächelt.«
    Sonnie beugt sich nach vorn, um Mucki lächeln zu sehen. Sie sieht seine dunklen Knopfaugen, sein rot-weiß-schwarz geschecktes Fell, seine gespaltene Oberlippe, seine langen gebogenen Vorderzähne, seine kleine flinke rosa Zunge.
    Dann wird alles schwarz.
    »Long time no see.«
    Sonnie schlägt die Augen auf. Ihr Kopf sitzt in einem Schraubstock.
    »Machen Sie das ab.« Sie versucht, ihren Kopf aus dem

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