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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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hatte.«
    »Depp! Hast du die Hexe schon angerufen?«
    »Wieso die?«
    »Na, ich denke, alle herrenlosen Koffer landen bei ihr. Dann hattse den bestimmt wieder.«
    »Ja, klar! Daran hab ich gar nicht gedacht.«
    »Ruf sie an! Ruf sie an!«
    Sonnie wühlt nach der blechernen Visitenkarte. Sie wählt Elviras Nummer.
    »Hallo? Hier ist Sonnie. Ich war neulich bei Ihnen … der Koffer.«
    »… ist wieder bei mir.«
    Chola und Sonnie machen geräuschlos High Five.
    »Kann ich ihn abholen?«
    »Es fehlt was in dem Koffer, den du gegen deinen getauscht hast.«
    »Der Handspiegel. Ja, tut mir Leid. Ein Versehen.«
    »Spiegel gegen Koffer. Und keine Tricks diesmal.«
    »Ja, natürlich. Wann kann ich ihn abholen?«
    »Lass ihn dir bringen. Wo wohnst du? In drei Stunden?«
    Sonnie gibt ihre Adresse durch. Aufgeregt. Sie legt auf.
    »Hab ich da was von Koffer gehört?«, sagt Ezekiel, der nun wieder neben ihnen sitzt. »Das wollt ich nämlicherzählen. Ich hab den Typen gefunden. Den Jazz-Opa mit den weißen Handschuhen.«
    »Er lebt?«
    »Vorgestern hat er noch gelebt. Ist im St. Vincent’s.«
    »Du bist ein Held«, ruft Sonnie.
    Der Koffermann. Er lebt. Er ist ganz in der Nähe.
    »Los, worauf wartet ihr noch?«, sagt Chola, rafft ihre Gewänder und verschenkt die Sixpacks an die Penner, die ihre Lager unterm Toilettenvordach aufschlagen. Die Penner johlen.
    »Ist jetzt überhaupt Besuchszeit?«, fragt Sonnie.
    »Macht euch keine Sorgen, Ladys, ich kenn den Sicherheitsmann«, sagt Ezekiel.
    »Ich gebe zu, dass ich dem Alkohol gegenüber machtlos bin …«, lallt Rhett.
    »Hör auf zu labern. Guck zu, du Nase!«, ruft Bud. Ungehalten.
    Er reißt die Arme hoch. Er reißt den Mund auf. Er brüllt wie ein kreißender Gorilla, von riesigen lila Händen beschirmt.
    »… und mein Leben nicht mehr meistern kann.«
    »Trink noch ein Bier und halt’s Maul«, sagt Bud.
    Als Bud das nächste Mal die Arme hochreißt, reißt Rhett seine mit. Er versucht, wie ein kreißender Gorilla zu brüllen, aber es kommt nur ein heiseres, leicht quietschendes Geräusch.
    »Sieh an, sieh an, diese Knicks«, sagt Bud und wendet sich nun Rhett zu.
    »Ja, sieh an, sieh an«, sagt dieser kleinlaut. Zehn Jahre hat er nicht getrunken. Warum eigentlich? Wie wunderbardie Welt ist, wenn man voll ist. Bunter, aufregender, besser zu ertragen. Er kann sich auch leichter einfügen. Er schmilzt hinein in die Welt. Und das geht nur im Suff. In die Welt hineinschmelzen. Vorbehaltslos. Ohne Hemmungen. Ohne Skrupel.
    »Jetzt ist erst mal Werbung. Jetzt kannste erzählen. Was gibt’s Neues?«
    »Meine Frau hat mich betrogen.«
    »Na prima.«
    »Und schwanger ist sie, obwohl wir uns immer einig waren …«
    »Isses von dir?«
    »Keine Ahnung. Und ein junger Mann ist aufgetaucht, der behauptet, mein Sohn zu sein.«
    »Da wird mir ja der Samen flockig«, ruft Bud. »Was für ’ne Scheiße! Alter, hier, trink meinen Schnaps. Ich bestell uns noch was.« Bud stößt einen schrillen Pfiff aus, ohne Finger, und macht der Kellnerin Zeichen.
    »Kennste den Knaller? Soll ich den verkloppen?«
    Altes Wohlgefühl stellt sich ein. Bud ist wieder da. Er stellt sich vor ihn, pfeift schrill, rächt ihn, will den KNALLER VERKLOPPEN.
    »Ich weiß, was du brauchst«, sagt Bud und zeigt auf zwei schlecht blondierte Frauen in zu engen Sachen. Die Frauen tuscheln und sehen zu ihnen rüber. Sie sitzen auf Barhockern, eine Insel im Männerwald. Rhett greift nach dem Schnaps und stürzt ihn hinunter. Mit tausend Nadeln fährt ihm die Droge ins Hirn. Ich werde warten, bis sie aufs Klo gehen, denkt er. Ich muss sie von hinten sehen.

ELFTES KAPITEL
    Sonnie, Chola und Ezekiel verlassen den Aufzug. Der Flur ist neonhell erleuchtet. Sonnie kommt es so vor, als habe sie die letzten Tage permanent in Krankenhäusern verbracht. In welchem Zimmer hatte Gong gelegen? In welchem Stock? Wann war das? Wie war das? Sie erinnert sich nicht mehr. Sie erkennt nur den Geruch wieder. Desinfektionsmittel, vergeblich bemüht, Übles zu übertünchen. Das Zimmer, das sie jetzt betreten, sieht genauso aus wie das von Gong. Ein Zwei-Mann-Zimmer, durch einen geblümten Vorhang geteilt. Sonnie erinnert sich an den geblümten Vorhang. Er ist geöffnet. Klar und kontrastreich bricht Manhattan durchs Fenster. Ezekiel zeigt auf das vordere Bett.
    Sonnie tritt nah ans Bett und beugt sich über den schlafenden, dünnen, dunklen, alten Mann. Sein Gesicht ist eingefallen, die dunkle Haut überspannt den Schädel wie eine

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