Der Kofferträger (German Edition)
Wolken zurück. In der Ferne sah er nur noch das Gebäude erleuchtet. Nach Rybocice konnte er nicht zurück. Es wäre zu weit gewesen. Außerdem gab es keinen Grund, dorthin zurückzugehen. Seine Rechnung in dem Gasthof hatte er im Voraus beglichen. Über Feldwege und Wiesen erreichte er nach einer Stunde sein Auto.
Was war mit Henrik, wo war er geblieben? Hatten sie ihn gefasst? Musste er sich nicht um ihn, vielleicht um seine Familie kümmern? Was war das für ein Schuss gewesen, den er gehört hatte? Schütz entschied, sich an die gemeinsame Vereinbarung zu halten. Nur so konnte er dem grausamen Unrecht begegnen und seinen Kumpanen später wieder befreien. Vielleicht könnte er sogar eines Tages seiner Tochter helfen. Allerdings durfte Schütz jetzt auch nicht heimkehren. Seine Frau wähnte ihn in der Schweiz und erwartete ihn erst nach zwei Tagen zurück. Schon auf halbem Wege nach Fürstenwalde machte er kehrt, begab sich nach Frankfurt an der Oder, wo er sich einnistete.
Die wenigen Stunden der Nacht, die ihm verblieben, verstrichen schlaflos. Er schaltete das Radio ein. Nichts. Selbst der lokale Nachrichtensender brachte nichts über einen Einbruch. Schütz wälzte sich unruhig in seinem Bett.
Schon beim Frühstück durchblätterte er unruhig die Tageszeitung, als wäre in dem Papierrauschen die Lösung seiner Probleme aus der letzten Nacht zu finden. In dem örtlichen Radio brachten sie wieder keine Meldungen über einen Einbruch in der Fabrik „ Happy Hour “. Gab es da eventuell schon eine Nachrichtensperre? Nur eine Diskussion an einem anderen Tisch zwischen mehreren Männern klärte ein wenig sein Unwissen auf. Bei ‚ Happy Hour ‘ wäre in der Nacht eingebrochen worden. Der Dieb hätte sich beim Sprung durch ein eingeschlagenes Fenster auf den Betonboden ein Bein gebrochen und wäre dort liegen geblieben, solange bis die Polizei ihn gefunden hätte. Nach seiner Festnahme wollte er noch fliehen, die Polizisten hätten ihn mit einem Schuss niedergestreckt. Schütz richtete seine Ohren auf die Gruppe nebenan, wollte noch mehr erfahren. War Henrik verletzt, schwer verletzt oder tot? Doch keine weiteren Anmerkungen kamen von dem Tisch dort drüben herüber. Der Berichterstatter erklärte seinen Freunden, er wisse nicht mehr.
Ein trauriges Nachdenken verschleierte den Blick des Jürgen Schütz. Wieder einmal zeigte eine seiner Bemühungen nur den totalen Misserfolg. Nicht nur das. Eine ohnehin gefährdete Familie würde jetzt noch in größere Not gestürzt werden. Er blickte starr in die Ferne, sah Henrik blutüberströmt auf dem Boden liegen.
„Ich werde den Job weiter machen“, flüsterte er. „Ich werde dich herausholen, und wenn du tot bist, Henrik, werde ich deine Familie rehabilitieren.“
Würde er den Erfolg für die Einhaltung dieses Versprechens haben?
36 Ich knall dich ab
Seine Frau Anita war zu ihrer Tante an den Bodensee gefahren. Die freie Zeit musste er nutzen, die gesammelten Materialien so schnell wie möglich nach Hause zu schaffen und sie dort zu kopieren. Das, was noch im Büro verborgen ruhte, war schnell in eine Aktentasche eingepackt. Er verschloss sein Büro und war schon mit der S-Bahn unterwegs in sein kleines Landschloss. Je schneller er jetzt handeln würde, desto weniger Zeit ließ er einem Mit- oder Halbwisser, zu reagieren. In seinem Haus verriegelte er von innen alle Türen und bereitete seine Arbeit sorgfältig vor.
Zwei Pakete, angefüllt mit Dokumenten hatte er fest verschnürt und zugeklebt. Eins verblieb im Haus, das andere stopfte er in einen Aktenkoffer. Das lederne Band legte er vom Griff des Koffers um sein Handgelenk und fuhr mit der U-Bahn noch am selben Abend Richtung „Französische Straße“. In dem gefüllten Abteil drückte er die Tasche fest an seinen Körper. Wie der Dieb seine Beute beobachtete, glaubte er alle Welt schaute ausschließlich auf seine Aktentasche. Im Grunde hingen die Menschen gelangweilt in ihren Mänteln wie zu anderen Zeiten.
Niemand um ihn herum erahnte, welche Zündschnur in seiner Tasche verborgen lag, eine Zündschnur, die diese Republik erschüttern würde.
Haltestelle „Französische Straße“. Er verließ die U-Bahn. Ein paar Meter die Friedrichstraße entlang, dann konnte er nach links in die Behrenstraße einbiegen. Die ungünstige Lage des einstmals von ihm so hoch gelobten Bankenplatzes stieß ihm unangenehm auf. Es war nicht nur die Berliner Vertretung des Deutschen Beamtenbundes, an deren
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