Der Kofferträger (German Edition)
hinter der dritten Tür lägen die Unterlagen, die sie brauchten. Fertigungspapiere, die Auskunft darüber gäben, wann und in welcher Menge beim Flavourn der Tabak mit der Duftnote C 14 H 19 NO 2 HCL geimpft worden war. Alles sauber dokumentiert und unterzeichnet. Eine Metallflasche mit dieser Duftnote würde er zusätzlich besorgen. Die Beweise für dieses Verbrechen.
Jürgen kam seinem Ziel mit riesigen Schritten näher, auch wenn die ‚Intercom AG‘ in weiter Ferne blieb.
Über den mondlosen Himmel zog sich eine dunkle Wolkendecke. Die Firma erahnte er von hier aus nur als dunklen, schwebenden Schatten. Wenn er das erste Alarmgeräusch vernahm, wusste er, Henrik stieg jetzt über die kleine Lagerhalle in das Gebäude ein. Keine Gefahr. Es dauerte sehr lange, bis es so weit war. Möglicherweise ging Henrik doch noch einmal um das Gebäude herum und sicherte das Gelände.
Der Name Marita machte ihm zu schaffen. War es Marita oder Anita, die zu Besuch gewesen war? Wenn Henrik zurückgekommen wäre, würde er mehr aus ihm herausquetschen.
Mit einem schrillen Heulen legte sich plötzlich der Schrei eines Einbruchs über die stille Wiesenlandschaft. Nach unendlichen drei Minuten hatte ihm Henrik versichert, würde sie sich erst wieder abschalten, um in einem Fünfminutentakt stets aufs Neue loszuschlagen. Obwohl er genau damit gerechnet und darauf gewartet hatte, versetzte der Ton, der die Nacht wie eine Kreissäge durchschnitt, den Wartenden am Waldrand in panischen Schrecken. Nur sein eigenes sich Zureden half ihm, diesen mörderischen Schrei zu überstehen.
Schütz versuchte , sich abzulenken. Kraftvoll sog er den beginnenden Herbstduft nieder rieselnden Laubes wie ein witternder Wolf in seine Nüstern. Seine Sinne schwankten zwischen der Aufmerksamkeit in dem modernen Gebäude und dem warm feuchten Duft einer Herbstnacht im Wald.
Die vielen Wochen der Unsicherheit, der Angst und des Zornes würden für Jürgen bald vorüber sein, endlich könnte er diesen Fall vor die entsprechenden Behörden und ihn zu Ende bringen.
In der Ferne entdeckte er ein kleines Licht. Es müsste zu Henrik gehören, der jetzt in einem der Büros die Papiere einsteckte. Zum zweiten Mal heulte die Alarmanlage auf. Auch das war noch eingeplant. Dennoch erschreckte sich Jürgen erneut, der jammernde Ton durchfröstelte seine Haut, und sie überzog sich mit pelzigen Pocken. Die Anspannung war unerträglicher, als er sich zuvor gedacht hatte. Jetzt würde er allmählich die weichen Schritte seines Kumpans vernehmen, der das Gebäude nun verlassen hatte und sich mit schleichendem Fuß wieder zu ihm zurückbegäbe.
Ein leichter Südwind fächelte noch einmal den animalischen Duft des Herbstlaubes an seiner Nase vorbei. Schütz dachte sehnsüchtig an Corinna. Bald würden sie für immer zusammen sein können, wenn er diesem schaurigen Treiben in Berlin ein Ende gesetzt hätte. Ein Knacken im Gebüsch schreckte ihn auf. "Henrik", rief er leise. Obwohl er seinen Kumpanen erwartete, fuhr ihm bei dem Geräusch ein fröstelnder Schauer über den Rücken. Doch es war wohl ein Nachttier gewesen, das sich durch ihn gestört fühlte. Von Henrik keine Spur. Der Ruf eines Uhus durchbrach die Stille der Nacht, Grillen zirpten ihre eintönige Litanei. Allmählich wurde es Zeit für Henrik zurückzukehren. So lange musste er das alles nicht übertreiben. Der Alarm schrie zum dritten Mal aus dem schwarzen Schatten. Henrik kam nicht zurück. Dafür hörte er aus der Ferne die ersten Sirenen von Polizeifahrzeugen heran jaulen. „Henrik“, rief er wieder leise. Von seinem Kumpan keine Spur. Vor der Firma trafen die ersten Polizisten ein, setzten das Gelände in wenigen Sekunden unter ein hell flammendes Lichtermeer aus gerichteten Scheinwerfern. Noch reichte es nicht bis zum Waldrand. Er war sich sicher, bald würden sie auch hier suchen.
Wo blieb Henrik? Hatte er schon das Gebäude verlassen, oder befand er sich in ihm wie in einem Kerker? Sich an die Auflage für sein Tun für diesen Fall erinnernd, zog sich Schütz zurück. Schleichend tastete er sich in den nächtlichen Wald und lief den Weg zu seinem Auto in dem Städtchen Müllrose. Ein letzter Blick auf das in der Ferne liegende Unternehmen. Über den Himmel schwenkten riesige Scheinwerfer, als suchten sie einen flüchtenden Einbrecher in den grauen Wolken. Ein Hund bellte und der Schuss eines Jägers durchtrennte das Schweigen der Nacht. Die Scheinwerfer zogen ihre Strahlen aus der Mitte der
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