Der Kofferträger (German Edition)
einer der von Schütz heimlich markierten Zweitausender Scheine, die H. B. als Zuwendung an seine Kreisfürsten und für andere Zwecke weiter gereicht hatte. Mit Interesse verfolgte er, wie sich die Masse der gelben Markierungen aus dem Sammelwerk des Koffers in alle Richtungen über die deutsche Landkarte verteilten. Teils versammelten sie sich an anderen Orten oder begaben sich einzeln auf Goodwill Tour.
In einem geografischen Programm hatte er alle Kreisbüros mit ihren Koordinaten aufgeführt. Die gelben Punkte fügten sich in die Büros ein, bis auf einen Meter genau. Es genügte ihm, zu sehen, wie sich fünfundzwanzig Pünktchen um Darmstadt herum versammelten und zwanzig um Leipzig. Er ließ sich die grafischen Darstellungen und anschließend noch eine Word-Liste erstellen und hielt den aktuellen Stand auf seinem Rechner fest.
Es wirkt wie ein Wunder, dachte er. Ein solches Programm, entwickelt vor ein paar Jahren von einer Abitursklasse als Projektarbeit, wurde zurzeit überall im Internet kostenlos angeboten. Die Landschaftskarte war nichts anderes als ein Ableger aus bestehenden Programmen. Die Pünktchen auf den Scheinen sendeten ein winziges Signal über eine der Telekomrelaisstellen, die dann auf seinem Rechner gesammelt wurden. Schütz wusste, wie wenig seine ‚Punktesammlung‘ als Beweis vor Gericht gelten könnte. Ihm verschaffte es aber die Sicherheit, was da wirklich im Gange war.
Dann ging er noch einmal zurück in die Lifeübertragung, um sich der Ansammlungen der Scheine neu zu versichern. Eine Gruppierung gelblicher Lichtflecke wollte so gar nicht in sein geografisches Rahmenprogramm hineinpassen. Ein Platz, den er noch nicht mit seinen Koordinaten gespeist hatte, was er sofort nachholte. Jürgen grinste. Hier gab es wohl noch irgendwo in Berlin einen Grasempfänger, den er bisher noch nicht ausgelotet hatte. Einhundert leuchtende Punkte kreiste er stärker ein, die alle dicht bei dicht lagen. Er ortete den Sammelpunkt, fixierte ihn. Immer näher kam er dem Wannsee, der Pfaueninsel und landete schließlich in Nikolskoe.
„Was ist das?“, rief er überrascht aus. „Zählen die Herrschaften des Ausflugsrestaurants nun auch zu den Empfängern? Oder ist es gar der Pfarrer von St. Peter und Paul nebenan?“
Er vergrößerte, neugierig geworden, den Ausschnitt, bis er auf die einen Meter genaue Platzierung kam. Das Zentrum lag in seinem Haus. Nun geschah das Unfassbare. Seine spielerische Technik wurde ihm zum Verhängnis. Jürgen Schütz lud eine zusätzliche Software auf seinen Rechner. Das Cyberspaceprogramm führte ihn in alle Räume seines nun dreidimensional erscheinenden Hauses. Er folgte den blinkenden Pünktchen in die virtuelle Realität, fliegend wie Batman. Die leuchtenden Sterne zogen ihn in das Büro von Anita, sammelten sich hinter der Tür eines aus Hartholz geschnitzten Safes.
Er riss sich aus dem Programm und erhob sich. Schwer atmend stellte er sich vor das Fenster mit Blick über den Wald und auf den See. Mit beiden Händen fuhr er sich über das erhitzte Gesicht und flüsterte „Mein Gott, Anita“. Einhundert Punkte bedeuteten zweihunderttausend DM. „Mein Gott“, wiederholte er.
Er wusste nicht, wie lange er so stand. Mit zitternden Fingern griff er zur Zigarette, um sich wenigstens die Illusion einer Beruhigung zu verschaffen.
Es musste geschehen, jetzt. Mit fliegenden Fingern griff er zu seinem Montblanc und setzte das erforderliche Schreiben auf.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
der Tragweite meiner Anklagen und Aussagen bin ich mir bewusst. Ich bin Mitarbeiter in der Bundesschatzmeisterei der PCD und arbeite in einem Büro des Bundeskanzleramtes. Meine Aufgabe ist die des Generalbevollmächtigten. Das heißt, fast alle geldlichen Transfers laufen über meinen Schreibtisch. Ich bin in das Tagesgeschäft der Partei einbezogen, in die Spendeneingänge und ebenso in die Weiterleitung der Geldbeträge. Für die rechtmäßige Verbuchung der Spenden nach dem Parteiengesetz bin ich ebenso zuständig, wie für die Deklarierung und Erfassung aller Spenden.
In der letzten Zeit hat es zwei angebliche Selbsttötungen von Mitarbeitern im Kanzleramt gegeben. Sie wurden zwar von der Verwaltungsleitung als solche dargestellt, was aber nicht der Wahrheit entspricht. Die ursprünglichen Autopsieberichte des Bundeskriminalamtes belegen, dass Herr Klingenberg zuvor durch Gewalteinwendung von dritter Seite ums Leben gekommen war. Frau Jenisch ist bei einer nicht
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