Der Kofferträger (German Edition)
Satellitensystem weitergibt. Gleichgeartete Dummys an verschiedenen anderen Karosserieteilen und Motorblock erlauben es einem selbst hoch technisierten Dieb nicht, den Chip ausfindig zu machen und auszuschneiden. Das Ganze ist schon ein fein abgestimmtes System.“ Schütz kam sich vor, als hielte er eine technische Vorlesung.
Boris nickte.
„Vor allem, die unvergleichliche Fahrfreude, die Sie sonst bei keinem Fahrzeug haben.“
„Ich weiß“, endlich kam wieder der Kommentar.
Jürgen machte eine Pause. „Haben Sie einen Kunden für ein solches Fahrzeug?“
Boris nickte.
„Ja natürlich.“
Die andersgeartete Reaktion ließ Schütz erschauern.
„Kennt der Kunde ein solches Auto?“
Wieder nur nickte Boris mit einer kurzen Bemerkung.
„Natürlich kenne ich ein solches Auto.“
„Soll es für Sie sein?“
„Für mich.“
Jürgen hatte aufgehört, die Welt nach ihren Anzügen zu messen. Deswegen traute er dem Russen durchaus ein solches Auto zu.
„Was bieten Sie ?“
„Was wollen Sie?“
Auf dem freien Markt hatte der Wagen einen Neuwert von 750.000 DM. Er war erst dreißig Tausend Kilometer damit gefahren. Die Gebrauchtwagenpreise für den Typ nahmen in den ersten Jahren zu , weil die Lieferzeiten des Neuwagens so lang waren. Der Handelswert betrug zurzeit 800.000 DM. Das sagte er dem Händler. Sie einigten sich auf diese Summe. Jürgen wollte sein Auto so schnell wie möglich loswerden. Boris brauchte aus irgendeinem Grunde ein solches Auto ebenso schnell. Der dünne Fahrzeugbrief wechselte gegen ein dickes Bündel Banknoten, das der Verkäufer auf mehrere seiner Taschen verteilte.
Erleichtert verließ Jürgen Schütz das Gelände. Er legte seine rechte Hand auf die Herzgegend. Das Paketchen fühlte sich gut an. Von außen und von innen.
Tote fahren keine teuren Autos sagte er sich und holte einen kleinen Mietwagen.
*
Nach Einbruch der Dunkelheit lief er über die Königstraße in den Berliner Forst ein. Bald bog er nach rechts in die ‚Pfaueninsel Chaussee‘ und steuerte auf Nikolskoe zu. Beinahe wäre er wieder in die Einfahrt zu seinem Grundstück gefahren. Rechtzeitig sah er die rotierenden Lichter vor seiner Haustür. Verdammt, kam er schon zu spät?
Mit seinem kleinen Renault war er bereits an seiner Einfahrt vorbeigefahren. Auf dem Gelände des Landgasthofes parkte er.
Mit einem Blick in den Wald wandte er sich schnell von den Restaurantgästen ab und lief zu der Kirchenanhöhe. Von hier aus konnte er sein Grundstück besser übersehen. Die Bullen nahmen tatsächlich seine Hütte auseinander. In großen braunen Kartons schleppten sie Unterlagen heraus. Und wer war die Frau dort in der Tür? Das konnte doch nur ..., nein, ja sie war es. Anita, seine eigene Frau, die er noch in den Vereinigten Staaten wähnte. Seine Chips! Seine Festplatte! All die Informationen, die er gespeichert hatte, die die Staatsanwaltschaft als Beweisstücke brauchte. Er beschloss, aufs Ganze zu gehen.
Mit langen Schritten lief er auf sein Haus zu. Noch rechtzeitig bog er nach rechts in das Gebüsch ab, um den Bullen nicht geradewegs in die Hände zu laufen. Sie gaben sich recht unbedarft. Einen Jürgen Schütz gab es für sie ohnehin nicht mehr. Langsam näherte er sich den übermannshohen Büschen, suchte die Stelle, von der er sich am nächsten zu dem Haus bewegen konnte. Der Außenbereich vor dem Eingang strahlte ihn taghell an.
Mit einem Polizisten kam Anita aus dem Haus. Sie half dabei, einen Karton zu tragen. Dabei hörte er ihre Stimme:
„Gehen Sie vorsichtig damit um, das sind wichtige Dokumente.“
Warum half sie auch noch? Wahrscheinlich wollte sie durch Übereifrigkeit das Wichtigste verbergen. Es konnte nur so sein, dass sie von seinem „Unglück“ erfahren hatte und schnellstens nach Hause zurückgekehrt war. Sie war doch seine ihn liebende Anita. Hatte er ihr Unrecht getan? Als schaltete er bewusst die kürzliche Vergangenheit aus, dachte er von Anita nur in den schönsten Erinnerungen. Auf jeden Fall musste er sich ihr bemerkbar machen. Nur mit ihr konnte er retten, was zu retten war.
Anita stand noch immer vor der Tür und dirigierte die Aktionen der Polizisten. Ab und zu wandte sie ihr Gesicht ab und verzog ihre Nase. Der Schweiß der schwere Pakete schleppenden Polizisten war ihr zuwider. Jürgen näherte sich von rechts so gut, wie möglich.
„Anita“, flüsterte er. „Anita“.
Sie hörte ihn nicht. Es kamen auch schon wieder zwei Beamte unter Stöhnen heraus.
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