Der Kofferträger (German Edition)
bliebe der Safe für zehn Jahre verschlossen, wenn keiner der Erben eine Zugangsberechtigung hätte? Der Safe aber war seine einzige Rettung. Er musste es probieren. Möglicherweise hatten sie seinen Tod noch nicht registriert oder niemand hatte Anspruch erhoben.
Nun war es nicht so einfach, in stockdunkler Nacht zehn Kilometer quer durch den Grunewald zu stolpern. Es war unratsam die Straßen zu benutzen. Entlang der Havel lief er eine Weile nach Norden, stets rechts neben sich den dichten Streifen Wald. Er vergrub seine Hände tief in den Hosentaschen. Die Wege hörten auf und Jürgen Schütz quälte sich mehr durch stachliges Unterholz. Erst an einem der vielen WC Häuschen fand er ein wenig Ruhe. Heißes Wasser frischte sein Gesicht auf. Aus den tief liegenden Höhlen seiner Augen schaute er sein Gesicht an, schüttelte leicht den Kopf und fragte sich: „Was machst du hier? Lohnt sich das alles?“
Beinahe die ganze Nacht hindurch lief er zwischen See und Grunewald entlang. Ab und zu lehnte er sich an einen Baum, um auszuruhen. Die feuchten Wetterseiten verschmierten mit ihrem grünen Moos seine Kleidung.
Irgendwann erreichte er völlig erschöpft die Heer straße. Schon die nächsten einhundert Meter bis zur U-Bahn Station waren ihm auf einmal zu viel. Wieder wusch er sich auf der öffentlichen Toilette und reinigte, soweit es ging, seine Kleidung.
Den Kopf über dem Waschbecken entdeckte er, als sein Blick über den Rand hinausging, die ausgelatschten verdreckten Schuhe neben sich. Der Spiegel zeigte ihm, wie geduldig ein Obdachloser auf das Waschbecken wartete. Der unrasierte Mann grinste ihn an.
„Neu hier?“
Schütz schaute ihn entgeistert an.
„Ja, nein, das heißt.., ach Scheiße.“
„Ja, so haben wir uns alle einmal am Anfang gefühlt“, philosophierte der Mann neben ihm aus einer faulen Zahnreihe heraus.
Schütz gab das Waschbecken schnell preis. Sein „Kollege“ verjagte ihn mit seinem nach Alkohol und Tabak stinkendem Atem. In dem heißen Gebläse des Lufttrockneres rieb er sich Hände und Gesicht. Seine neu erstandene Sportbekleidung sah alt aus. Ärgerlich fuhr er mit der Hand durch sein Gesicht. Er war unrasiert, hatte Hunger, hatte selber das Gefühl, dass er wie ein Obdachloser nach Schweiß stank und er brauchte unbedingt ein Bett. Sein Reisekoffer ruhte in dem Mietwagen, den er auf Nikolskoe geparkt hatte. Dort wagte er sich nicht hin.
Am Automat zog er eine Wochenkarte. Ein wenig überflüssig kurvte er sicherheitshalber, wie er dachte mit der U-Bahn in Berlin herum, bis er endlich wieder auf der Französischen Straße ausstieg. Hinter der Residenz des Beamtenbundes lief er unter Vermeidung der Bayerischen Vertretung in die Glinkastraße und betrat unbehelligt seine Safebank. Alles war noch an seinem Platz. Nur fünftausend DM behielt er in der Tasche, den Rest aus dem Erlös seines Autos vertraute er dem Schließfach an. Erleichtert trat er wieder auf die Straße.
Meile für Meile verlosch die Straßenbeleuchtung. Ein neuer aufregender Tag begann. Er musste sich rasieren und endlich ein Bett finden. Zuvor kaufte er sich noch eine der Morgenzeitungen. Befriedigt stellte er fest, H. B. s Pressepolitik funktionierte. Kein Wort über sein erneutes Auftauchen. Für die Gesellschaft war er tot. Noch! Wie sollte sein erneutes Erscheinen auch zu begründen sein? Den Berichten aus ‚DAS ZIEL‘ hatte er zuvor entnehmen können, wie sich die Redaktion auf den Skandal stürzen würde. Schütz ging davon aus, die weitere Recherche würde von dem Politmagazin übernommen und finanziert werden. Zunächst suchten sie noch seine Leiche.
Könnte er jetzt noch sein Ziel erreichen? Wie viele vom Geheimdienst oder Verfassungsschutz verfolgten schon seine Fährte? War nicht jeder einzelne Schritt durch Berlin ein Todesrisiko?
40 Potthässliche Putana
Hatten sie allesamt dem Schütz das nicht zugetraut? War sie trotz seiner Intelligenz zu langsam gewesen?
Wütend stapfte sie durch den Wintergarten im Charlottenburger Park. Die ausgebreiteten Arme stieß en in Richtung Boden, um ihren Worten Wahrheit zu verleihen. H. B. hatte es sich in dem Sessel bequem gemacht. Der dichte Zigarrenrauch versuchte, gegen ihre Parfümwolke anzugehen. Beschwörend versuchte der Kanzler, seine Nichte zu beruhigen.
„Niemand sagt, du leidest an Hirngespinsten, niemand hält dich für verrückt. Aber tot ist nun einmal tot. Wir haben die Nachricht schriftlich aus Zürich erhalten. Die werden doch
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