Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
Vom Netzwerk:
etwas davon bemerkt? Wem hatte der lange Blick in den Spiegel gegolten? Er ging zur Tür, blickte auf den Koffer, schaute in den Spiegel. Jede Position des Direktors ahmte er nach. Vielleicht, vielleicht nicht. Es war nicht mehr festzustellen. So viel grünes Gras wächst normalerweise nicht in einem Hotelzimmer und weckte Begehrlichkeiten in allen Köpfen. Nicht nur bei Schweiger, nicht nur bei H.B. nicht nur bei dem Hoteldirektor. Längst war der Kofferträger dabei, die Bündel zu zählen. Immer wieder begann er vor lauter Aufregung von Neuem. Schließlich blieb eine Summe von fünf Millionen Deutsche Mark, die er mit sich herumschleppte. Das funkelnde Spezialgerät war genau auf die Größe der Scheine zugeschnitten. Eine Spezialanfertigung. Einfach so neben sich auf dem Beifahrersitz oder zeitweise im Fußraum, hatte er den Berg von Scheinen transportiert.
    Nachdem er den selbst öffnenden Deckel wieder zugedrückt hatte, wollte er in der illustren Bar ein paar Cocktails zur Beruhigung in sich hinein kippen. Aber nein. Wenn ihn der Direktor vom Dienst sehen würde, könnte er mit einem Nachschlüssel in seine Suite gelangen. Wer weiß, vielleicht, würde er selbst auf nimmer Wiedersehen irgendwohin verschleppt und verschachert werden.
    Er blieb in seiner Suite, köpfte die Champagnerflasche. Bedauerlich nur, den scheinbaren Seelentröster alleine genießen zu müssen. Er schlürfte den Saft aus der Flasche, hütete sich davor, seine Suite zu verlassen. Des Nachts drängte es ihn aufzustehen. Mehrfach schreckte er, von mörderischen Albträumen gequält, auf. Durch die seidenen Vorhänge schwappte in wechselnden Mengen das bunte Reklamelicht von den Häuserfassaden herein. Vom Flur her verängstigten ihn bedrohliche Geräusche. Machte sich da nicht jemand an der Tür zu schaffen? Eine Verbindungstür zu einem Nachbarraum erforderte seine höchste Aufmerksamkeit. Sie kreierte in dieser grauenvollen Nacht die Ängste eines Verfolgten. Wiederholt überprüfte er das Schloss an der Tür. Schließlich ließ er das Licht in seinem Zimmer eingeschaltet. Er kam sich vor wie der Pfeifer im einsamen Walde. Mehr recht als schlecht quälte er sich bis zum frühen Morgen auf dem Bett, marschierte immer wieder zu dem Schrank und überprüfte, ob der Koffer noch da war. Als er sich am Morgen im verräterischen Spiegel anschaute, entdeckte er das Fatale seines Elends.
    Mei n Gott, das ist nichts für mich, stöhnte er leise. Dann wusch er sich den Schlaf aus den Augen, rasierte sich und betrieb ungelenk eine Gesichtsmassage, bis seine Haut vor Anstrengung rot leuchtete.
    Auf welche teuflische Gesellschaft hatte er sich da eingelassen? Was hatte dieser Koffer womöglich mit Klingenberg zu tun? Mit der hohen Überweisungssumme an die Intercom, mit dem restlosen Verständnis, das ihm seine nächste Umwelt entgegenbrachte? Stolperte er geradewegs in ein Klingenbergsches Schicksal hinein?
    Unter dem starken Wasserstrahl der Dusche schrubbte er sich die ölige Schmiererei eines stinkenden Sumpfes ab. Abwechselnd ließ er heißes und kaltes Wasser über seinen gemarterten Körper strömen, bis die Haut brannte. Mit dem großen, weißen Frotteetuch versuchte er sich, soweit es ging, abzurubbeln. Wenigstens ein wenig kraftvolle Frische pulsierte durch seinen Körper nach den extremen Wechselbädern. Wie mit scharfkantigen Handschellen fühlte er sich an den verdammten Koffer gefesselt, den er selbst zum Frühstück mit sich herumschleppte. Es musste schon komisch und für Ganoven einladend aussehen, wie er sich vom Tisch zum Selfservice Buffet hangelte, immer mit diesem Koffer wie die Eisenkugel am Bein eines Strafgefangenen. Am liebsten hätte er das Gerät wie eine giftige Schlange irgendwo in den Müllcontainer geworfen oder einfach auf der Toilette vergessen. Der treudumme Blick und der unterwürfige Gruß des Direktors versetzten ihn in neue Ängste. Nur schnell raus aus diesem Haus. Prüfend blickte er sich noch einige Mal um, als er mit dem Auto die Garage verließ. Sorgfältig achtete er darauf, ob ihm jemand folgte.
    Nach einer nervösen Fahrt war er am späten Abend in Berlin. Er parkte das Fahrzeug in der Tiefgarage des Kanzleramtes und eilte in das Büro von Frau Hubert. Die lächelnde Giftbüchse wartete auf ihn.
    „Geben Sie mir den kleinen Koffer, ich nehme ihn an mich“, begrüßte sie ihn. Die ganze Welt schien sich über eine Verharmlosung der Schmierereien verständigt zu haben.
    „Ja, ich, ich weiß nicht ...“,

Weitere Kostenlose Bücher