Der Kofferträger (German Edition)
trinken gehen?“, fragte sie.
„Der erste vernünftige Gedanke seit langer Zeit“, frotzelte er. „Endlich kann ich der MESF wieder einen Gefallen tun, und nach meiner Zigarette greifen.“ Schütz legte sich entspannt zurück. „Eigentlich kann ich diesen ganzen Quatsch nicht mehr hören. Er kommt mir jetzt schon aus den Ohren heraus. Aber aufgeben hieße sich selbst verraten.“
Die Erregung hatte ihre Wangen ein wenig rot gefärbt, die Bestürzung ihre Augen noch mehr geöffnet. Ein Bild einer kleinen, unschuldigen Katze, die man wegen ihrer Unbefangenheit gerne in die Arme nimmt und sie hätschelt und tröstet. Sie zogen ihre leichten Mäntel an und verließen die Wohnung der Freundin. Ein enger Aufzug brachte sie die sieben Stockwerke hinunter.
Die Nacht zeigte sich sehr frisch. Corinna fasste ihn unter den Arm und drückte sich ganz dicht an seinen Körper.
„So ist es wärmer. Außerdem ist es besser, wir wirken wie ein verliebtes Paar. Das ruft in Italien weniger Aufmerksamkeit hervor als ein Paar, das dauernd getrennt geht.“
Schütz schaute zu ihr hinunter, genoss ihre Körperwärme wie ein vertrauliches Wort. Sein Kopf überragte sie, und ihr dichtes Haar wedelte vor seiner Nase. Diesen Duft mochte er für sein Leben gern. Ganz besonders ihr Haar, das im Widerschein einiger Straßenlaternen und der Schaufensterbeleuchtung weinrot schimmerte.
Sie kehrten in einem kleinen Café ein. Irgendwie hatten sie beide nicht die Lust, sich unter Massen von Menschen zu begeben.
„Bei all unseren Analysen könnten wir schnell den Glauben an die Menschen verlieren“, philosophierte Corinna.
„Natürlich sind nicht längst alle Menschen so“, er schaute sie fragend an. „Viele aber müssen wachgerüttelt werden. Bei all dem Gerede von Schwindel, Geld und Untreue vergessen wir aber allzu leicht uns selbst. Erzählen Sie mir etwas über Ihre Jugend. Ich weiß noch zu wenig von Ihnen.“
Sie plauderte über Süditalien, den Golf von Tarent, über Deutschland und ihre Familie. Die kleine Katze an seiner Seite grinste belustigt. Er hörte ihr gerne zu. Dabei legten ihre Kindheitsschilderungen einen Schimmer von romantischer Unbesorgtheit über ihre Augen. Sie wurde noch kleiner, noch zarter. Sein Bedürfnis, Schutz zu spenden, wuchs, wie gerne hätte er dieses kleine Wesen in seine Arme genommen.
Ihr Blick verlor sich in der Weite der Welt, suchte ihr Haus am Golf von Tarent, das eine glückliche Familie beherbergt hatte.
Schütz enthielt sich jeden Kommentars. Er liebte es, wenn sie erzählte. Ihre Stimme war ein Juwel, sie berührte seine Gefühle. Ihn überkam sogar ein Vorwurf, wenn er daran dachte, dass er diese junge Frau in die raue See unter den Stürmen der Betrügereien und mafiosen Machenschaften schicken wollte. Er schaute ihr schweigend in die dunklen Augen, die seine Sinne fesselten. Aber diesmal schaute er deswegen, weil er sich nach Recht oder Unrecht fragte, nach dem ‚Darf‘ und dem ‚Darf nicht‘. Dürfte er sie in die Enge inquisitorischer Befragungen schicken, in die Verfolgung brutal selbstherrlicher Machtmenschen? Er ließ seinen Blick von ihren Augen über das Gesicht zu ihrer zierlichen Nase bis zu dem Mund wandern. Die vollen, lockenden Lippen versprachen die süßesten Tropfen einer Liebesnacht. Ihr zartes, kleines Kinn war energisch genug, sich einem Aufdringling entgegen zu recken, so wie sie es schon bei ihm getan hatte. Sie schaute ihn genau so an, und es schien, als forschten beide unbegrenzt in dem Gesicht des anderen nach der wirklichen Wahrheit. Sie ließen sich Zeit. Er folgte ihren Haaren, die sich unterhalb des Gesichtes an einen zarten Hals anschmiegten, der in eine volle Brust überging. Ein rassiges Geschöpf, dem er sich nicht entziehen konnte.
„Ich denke, es wird Zeit nach Hause zu gehen“, kündigte sie übergangslos an. „Wenn Sie uns ein Taxi bestellen, könnten Sie zunächst mich nach Hause bringen und dann gleich weiter in Ihr Hotel fahren.“
Der Hinweis war deutlich genug. Er winkte dem Kellner, bezahlte die Rechnung und bat um ein Taxi.
„Sie werden jetzt sehen, wo ich wohne. Das ist in Ordnung so.“
„Wie geht es weiter“, wollte er wissen. „Was haben Sie morgen vor? Morgen ist Sonntag, wir könnten gemeinsam ...“ Bevor er seinen Satz beendete, bremste sie ihn ein.
„Ich habe morgen eine Verabredung mit meiner Freundin. Sie haben meine Telefonnummer. Lassen Sie mal etwas von sich hören.“
Vor dem Appartementhaus, in dem auch
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