Der Kojote wartet
das Gesicht. »Knallt sie regelrecht ab. Gruselig.«
Das war nicht die Reaktion, die Redd erwartet hatte, aber er sprach trotzdem weiter. Er genießt es, Zuhörer zu haben, dachte Chee mürrisch - und ärgerte sich dann über seine Reaktion. Redd hätte wirklich kaum hilfsbereiter sein können. Er schien zu den ewigen Studenten zu gehören, die es am Rande jeder Universität gab, aber er machte einen durchaus anständigen Eindruck.
Redd erzählte ihnen, daß Tagert nicht glaubte, daß Cassidy in Bolivien erschossen worden sei. Statt dessen hielt er sich teilweise an die Geschichte, die bei Cassidys Verwandten kursierte. Die Familie behauptete, Cassidy sei 1909 unerkannt in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, habe unter falschem Namen eine Farm gekauft und dort als ehrbarer Bürger gelebt, bis er um 1932 als uralter Mann gestorben sei. Tagert glaubte einen Teil davon - nur nicht, daß Cassidy ein Ehrenmann geworden sein sollte.
»Vor ungefähr zehn Jahren hat er in Western Archives einen Artikel veröffentlicht, in dem er Butch Cassidy mit einem Bankraub in Utah in Verbindung gebracht hat«, berichtete Redd weiter. »In Fachkreisen ist daraus eine Kontroverse entstanden, und Henderson hat ihn abgeschossen. Er hat nachgewiesen, daß Tagert sich auf widerlegte Zeugenaussagen bei einer Gerichtsverhandlung gestützt hat. Das hat Tagert natürlich aufgebracht. Und dieses neue Buch... «
Redd grinste breit. »Jean hat mir erzählt, daß Tagert vor Wut gekocht hat. Er ist wütend durchs Büro gestapft und hat einen regelrechten Anfall gekriegt.« Er lachte und schüttelte den Kopf, als genieße er die Erinnerung daran.
»Jean Jacobs hat anscheinend nicht viel für den Professor übrig«, stellte Janet fest.
Redds Schadenfreude verflüchtigte sich abrupt. »Liebt eine Sklavin ihren Herrn?« fragte er. »Genau das sind wir nämlich! Lincoln hat vergessen, Doktoranden zu erwähnen, als er alle Amerikaner für gleichberechtigt erklärt hat. Wir sind die letzten Zwangsarbeiter der Grand Old Republic. Wir machen die Forschungsarbeit unseres Herrn, sonst wird unsere Dissertation nicht angenommen. Und die ist die Eintrittskarte zur akademischen Welt.«
Chee schluckte trocken. Was hatte all dieser Cassidy-Unsinn mit Ashie Pinto zu tun? Was konnte er mit ihm zu tun haben? Aber Chee war entschlossen, sich keine Ungeduld mehr anmerken zu lassen. Er würde sich wie ein Navajo benehmen. Er würde stumm leiden.
»Ich weiß noch, wie's beim Jurastudium war«, bestätigte Janet. »Wie man sich da durchboxen mußte.«
»Jedenfalls«, fuhr Redd fort, »hat der olle Tagert einen alten Zeitungsbericht über einen Zugraub in Utah ausgegraben. Eine Zeitungsmeldung aus Blanding, wenn ich mich recht erinnere. Von den drei Räubern ist einer erschossen worden; die beiden anderen sind entkommen, und einige Reisende haben behauptet, einer von ihnen sei Cassidy gewesen.
Außerdem hat Tagert einen späteren Zeitungsbericht gefunden, in dem gemeldet wurde, die beiden Bandidos seien in Cortez aufgekreuzt und wieder entkommen. Eine Posse habe die beiden nach Süden verfolgt, aber ihre Fährte südwestlich des Sleeping Ute Mountains verloren. Auch diesmal hat einer der Cops ausgesagt, der blonde Bandit sei Butch Cassidy gewesen. Er hat behauptet, er kenne ihn noch aus der Zeit, als Cassidy zur >Hole-in-the-Wall-Gang< gehört habe.«
Redd machte eine Pause. Er schüttelte den Kopf. »Ziemlich kümmerliche Beweise, aber mehr hatte Tagert nicht in der Hinterhand, und er hat sie mit den Aussagen der Verwandten Cassidys für seinen Artikel verwendet. Und den hat Henderson dann wie schon gesagt mit der Bolivien-Geschichte auseinandergenommen.« Er schüttelte erneut den Kopf, als bedauere er Tagerts aussichtslose Lage.
Als Navajo verstand Jim Chee, wie die menschliche Natur Geschichtenerzähler beeinflußte - und wie sie ihre Zuhörer auf Höhepunkte vorbereiteten. Jetzt würde Redd ihnen endlich etwas Wichtiges erzählen.
»Das war alles, was er hatte.« Redd sah zu Chee hinüber. Die dramatische Pause. »Dann ist Ashie Pinto im großen Reservat auf Butch Cassidys Fährte gestoßen.«
10
Als praktisch veranlagter Mensch erledigte Joe Leaphorn die Sache am Telefon. Von der Auskunft ließ er sich Professor Tagerts Privatnummer in Albuquerque geben. Als sich dort niemand meldete, rief er die Telefonzentrale der Universität an und ließ sich mit Tagerts Büro verbinden. Dort meldete sich Tagerts Assistentin, eine gewisse Jean Jacobs. Von ihr
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