Der Kojote wartet
von dem aus das Bild zu sehen sein soll, macht die Fotos und markiert die Stellen, die bemalt werden müssen. Etwas Farbe auf die rechte Ecke dieses Felsblocks, dort drüben auch, dann etwas höher und so weiter... «
»Trotzdem ändert das nichts an den wirklich großen Fragezeichen in dieser Sache«, stellte sie fest. »Wozu sollte ein normaler Mensch die Felsen dort draußen bemalen wollen? Und vor allem - mit was?« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Haben Sie das auch schon herausbekommen?«
»Leider nein«, gab Leaphorn zu.
»Dazu müßte man wirklich ein Genie sein, glaube ich.« Der Dienstwagen kroch eine lange Steigung hinauf und holperte über felsigen Untergrund. Seine Windschutzscheibe war mit einer Staubschicht bedeckt, aber die Sonne stand jetzt tief im Südwesten und schien den beiden nicht mehr ins Gesicht. Leaphorn schaltete vom ersten Gang in den zweiten und wieder zurück. Und plötzlich hatte er die Antwort gefunden. Oder bildete sich ein, sie gefunden zu haben.
»Ich habe eine neue Idee«, sagte er langsam. »Sie betrifft das >WOZU< Oder eigentlich das >weshalb<.«
Bourebonette sah erwartungsvoll zu ihm hinüber. Leaphorn überlegte, ob er dumm dastehen würde, falls er sich getäuscht hatte. Dabei fiel ihm auf, daß er ein bißchen angab. Und daß ihm das Spaß machte. Er dachte darüber nach. Wozu diese kleine Angeberei? Und weshalb hatte er sogar Spaß daran?
»Wollen Sie's mir nicht verraten?« fragte Bourebonette. Leaphorn schaltete erneut, weil das Gelände flacher wurde. »Sobald wir über den Hügel kommen, haben wir die Felsformation wieder vor uns. Diesmal aus einer anderen Perspektive. Und ich glaube, daß wir dann sehen werden, daß die weißen Flächen zusammenpassen. Daß sie ein Ganzes bilden.«
»Oh? Was denn?«
»Irgend etwas, das mit der Kleinen zu tun hat, zu der wir jetzt fahren.« Während er sprach, wurde ihm klar, wie absurd das klang. Er hatte sich bestimmt getäuscht. Diese Felsmalereien würden nie ein verständliches Ganzes ergeben.
Wenig später erreichten sie den Hügelrücken, der hier so breit war, daß er ihnen den Blick auf die Felsen versperrte. Aber sie konnten jetzt sehen, wo Jenifer Dineyahzes Familie am Gegenhang wohnte. Ihr Anwesen bestand aus einem mit Dachpappe eingedeckten kleinen rechteckigen Haus, dessen Dach mit alten Autoreifen beschwert war, einem gemauerten Hogan, einem auf Betonsteinen aufgebockten Wohnwagen und den üblichen Schuppen, Stallgebäuden und Viehkoppeln.
»Sollte ich mit meiner Vermutung recht behalten, hat der junge Ji die Fotos auf dem Hügel hinter dem Haus gemacht. Aus der Perspektive Jenifers, wenn sie ihr Haus verläßt.« Er sah rasch zu Bourebonette hinüber, die entsprechend beeindruckt wirkte.
»Sollte ich mich getäuscht haben«, fügte der Lieutenant plötzlich verlegen hinzu, »stehe ich ganz schön dumm da.«
»Unsinn!« widersprach Bourebonette. »Sie haben sich jedenfalls als origineller Kopf erwiesen. Darauf wäre ich nie gekommen.«
Als der Wagen weiterrollte, kam die Felsformation langsam wieder in Sicht. Und dann wurden auch die weißbemalten Flächen wieder sichtbar.
Der Lieutenant hielt. Er zog die Handbremse an. Er starrte zu den Felsen hinüber.
Er hatte richtig gelegen!
Aus dieser Perspektive war alles etwas verzerrt. Aber die weißen Buchstaben auf schwarzem Untergrund verkündeten deutlich:
ILOVE JEN
»Sehen Sie's?« fragte Leaphorn gespannt. »Können Sie's lesen?«
»Wer hätte das gedacht?« sagte Professor Bourebonette erstaunt. »Herzlichen Glückwunsch, Lieutenant!«
Sie strahlte ihn mit einem aufrichtig warmen Lächeln an. »Darauf hätte ich schon früher kommen müssen«, stellte er fest. »Die nötigen Informationen hatte ich schon lange. Ich hätte es erraten müssen, als sich herausgestellt hat, wo das Mädchen lebt.«
»Sie sind zu bescheiden«, wandte Bourebonette ein. »Ich finde, daß Ihre Kombinationsgabe einem Sherlock Holmes durchaus ebenbürtig ist.«
»Ich bin auch ein bißchen stolz darauf, wenn ich ehrlich sein soll«, antwortete Leaphorn.
»Was Jenifer wohl davon hält?« meinte Bourebonette. »Aber vielleicht frage ich sie besser selbst danach.«
»Ich sehe keinen Grund, sie jetzt noch zu belästigen«, widersprach Leaphorn. »Wir wollten sie fragen, ob sie eine Ahnung habe, was mit Taka los sein könne. Jetzt wissen wir's.«
»Allerdings«, bestätigte Bourebonette.
Sie schwieg, während er mit dem Wagen wendete. »Aber wir wissen noch nicht«, sagte sie
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