Der Komet von Palling - Oberbayern-Krimi
verbiss sich
in die Vorstellung, sie könnte sich in Palling nicht mehr sehen lassen, ohne
ihr Gesicht zu verlieren oder zur Zielscheibe spitzer Bemerkungen zu werden.
Bichler hatte seiner
Chefin unter vier Augen bereits mehrmals gesagt, dass es sich schädlich aufs
Gemüt auswirke, nach Feierabend dieses Zeug zu rauchen. Helga Wintersruh war
nicht grundlos vor zwei Jahren von München in den gemächlichen Chiemgau
versetzt worden, auch wenn alle Kollegen umsichtig das Wort »Strafversetzung«
zu vermeiden suchten oder es zumindest nur hinter vorgehaltener Hand
flüsterten.
Der Bildschirm flimmerte
seit Stunden. Helga Wintersruh surfte kreuz und quer durchs Internet, mit einer
Akribie, die dennoch immer zielloser schien. In den vergangenen Wochen hatte
sie aufgrund der Andeutungen der Mitarbeiter des Geologischen Instituts
renommierte Wissenschaftler in ganz Deutschland verdächtigen müssen, in eine
Art Komplott verstrickt zu sein. Es ziele darauf, die hart umfochtene Theorie
des Chiemgau-Impakts zu torpedieren und zu untergraben.
»Und statt froh zu sein,
dass diese Vermutungen sich nicht bewahrheiten, sind die Münchener nun fast
enttäuscht, wenn ich ihnen sage, dass allem Anschein nach weder die
wissenschaftliche Opposition aus Berlin noch die aus Hamburg oder Nürnberg
hinter dem Mord an dem Sperling steckt!«
»Ja, einen Feind zu
verlieren schmerzt manchmal mehr als der Verlust eines Freundes«, bemerkte
Bichler weise. »Diese Herrschaften rotten sich bestimmt nicht gegenseitig aus,
die brauchen einander wie die Luft zum Atmen. Wenn es für eine Theorie keine
Gegentheorien mehr gibt, ist sie zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Wie eine
leere Phrase, die ungehört in Raum und Zeit verhallt, sinnlos, wertlos,
hoffnungslos.«
»Hören Sie auf zu
nerven, Bichler. Setzen Sie lieber einen Kaffee auf.«
»Jawoll, Frau
Kommissarin!« Bichler stand stramm und marschierte zur Kaffeemaschine.
Die Kommissarin seufzte.
Dieses bebrillte Bürschchen war eine unerträgliche Nervensäge. Aber leider
konnte sie sich ihre Assistenten nicht aussuchen, und Bichler war wohl das
Kreuz, das sie zu tragen hatte. Wenigstens war er in der Lage, anständigen
Kaffee zu kochen.
»Zucker und Milch?«
»Ja, wissen Sie doch.
Gehen Sie zufällig noch zum Bäcker?«
»Nein, Chefin. Kein
Streuselkuchen nach sechzehn Uhr.«
Helga Wintersruh seufzte
und klickte zum x-ten Mal die Dateien mit den Zeugenaussagen durch. Es gab
nicht viel Brauchbares. Bestätigt war inzwischen, dass der Sperling am Abend
seines Todes ab etwa einundzwanzig Uhr in Palling im Gasthof gesessen hatte.
»Schweinsbraten mit
Knödel und zwei Bier. Die Wirtin wusste es noch genau. Die Quittung steckte
sogar noch in seiner Hosentasche, als man ihn fand. Wahrscheinlich wollte er
sich die Auslagen vom Institut erstatten lassen. Beim Essen schaute er zum
Fernseher, der in der Wirtsstube an der Wand hängt und wo die zweite Halbzeit
vom Spiel Bayern München gegen Barcelona übertragen wurde.«
»Das ist wirklich
ziemlich dürftig. Sind Sie mir böse, wenn ich mich entmutigt fühle, Chefin?«
»Ja«, sagte die
Kommissarin. »Entmutigt bin ich selbst schon. Da sollte wenigstens einer im
Team Zuversicht versprühen.«
»Was tun wir als
Nächstes?«
»Ein weiteres Mal
Klinken putzen in Palling. Noch einmal mit der Frau Schwalbe und dem Herrn
Birnbaum reden. Und vielleicht auch mit der Frau Birnbaum, die immer so
unscheinbar in der Ecke steht.«
»Was sollte die Frau
Birnbaum uns schon sagen können?«
»Unterschätzen Sie nie
die schweigsamen Frauen. Sie wissen mehr, als Sie glauben, und sehen mehr, als
Ihnen lieb ist«, sprach Helga Wintersruh mit mahnend erhobenem Finger.
»Machen Sie mir keine
Angst, Chefin!« Bichler grinste. »Inzwischen fühle ich mich in Palling schon
ganz heimisch. Die Wirtin vom Gasthof ist sehr liebenswürdig. Wenn ich am
Nachmittag komme, muss ich jedes Mal ihre neuen Tortenkreationen probieren, und
den Kaffee gibt es auch noch dazu.«
»Wahrscheinlich hofft
sie, auf diese Weise den neuesten Stand der Ermittlungen zu erfahren. Sie
halten aber doch Ihre Zunge im Zaum, nicht wahr?«
»Da es ohnehin keine
Neuigkeiten gibt, fällt mir das nicht besonders schwer«, erwiderte Bichler
gelassen. »Vielleicht sollte ich meinen Job bei der Polizei an den Nagel hängen
und hauptberuflich Tortentester werden. Es wäre eine Überlegung wert. Überhaupt
hat das Landleben seine guten Seiten. Die Geruhsamkeit, die vielen Wiesen und
Felder, diese biederen
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