Der Komet von Palling - Oberbayern-Krimi
Funden und einzelnen Berichten
römischer oder griechischer Chronisten. Und damit wären wir dann auch an der
Wurzel des Problems!«
In Gartelmanns trübe
Augen trat ein müdes Funkeln, wie bei einem Tiger, der zu lange in einem Käfig
gehalten worden war. »Es gibt nur wenig konkrete Grundlagen, auf die eine
religiöse Gruppe sich berufen könnte. Die Idee der keltischen Religion ist wie
ein leerer Kessel, der mit fast beliebigen Zutaten gefüllt werden kann. Damit
sind Verfälschungen und Interpretationen Tür und Tor geöffnet. Und wo eine
Anhängerschar ist, die nicht allzu viele Fragen stellt, gibt es immer auch die
Möglichkeit zur Manipulation.«
»Und was für eine Rolle
spielt der Mann auf dem Foto?«
»Er heißt Hermann
Graue«, sagte Gartelmann. »Oder der graue Hermann, wie er meist genannt wurde.
Er ist der selbst ernannte Druide, der Hohepriester der neuen Kelten. Ich würde
ihn als absoluten Egomanen bezeichnen. Für ihn ist die religiöse Fassade
letztlich nur Mittel zum Zweck, um seine eigenen Ideen durchzusetzen. Im Innern
ist die Gruppe so strikt organisiert wie ein kleiner Staat im Staate, eine
perfekte Hierarchie, mit dem Druiden an der Spitze und mit einer elitären
Führungsriege, die ebenfalls an dem Kuchen partizipiert. Ein ganzes Netz ist
das, das rund um den Chiemsee sitzt und bis nach München und Nürnberg reicht.
Und dann gibt es natürlich das Fußvolk, das wirklich an die Erlösung glaubt und
dafür fleißig zahlt und arbeitet. Eine typische Sektenstruktur. Eigentlich geht
es nur um Macht und persönliche Eitelkeiten.«
Maria schwieg einen
Moment. Dann schüttelte sie ärgerlich den Kopf. »Ob diese Leute vom Sonnenrad
nun nach der Erleuchtung oder nach persönlicher Bereicherung suchen, ist doch
letztlich ganz egal. Es hat einen Toten gegeben, das ist der Punkt. Wir müssen
handeln!«
Der Journalist seufzte
abermals.
»Ihr Eifer ehrt Sie,
Frau Birnbaum. Die Sache ist allerdings komplizierter, als Sie ahnen. Ich hatte
damals angefangen zu recherchieren, bin aber schon sehr bald auf Widerstand
gestoßen. Niemand will ran an das Thema, weil nicht sein kann, was nicht sein
darf. Wo diese Leute überall ihre Finger und Fühler haben, steht in den
Sternen. Die gesamte Vereinigung teilt sich in mehrere Untergruppen, von denen
jede für sich als Verein agiert. Da gibt es dann beispielsweise die ›Kinder der
Zukunft‹, wo auch mein alter Spezl Christian gelandet war. Ein ziemlich
exklusives Grüppchen. Ein Kreis von größtenteils hochqualifizierten und
gesellschaftlich wohlsituierten Personen, die sich in den Kopf gesetzt haben,
ihr Erbgut nur untereinander weiterzugeben, um auf diese Weise ihre Kinder an
die Spitze der Gesellschaft zu katapultieren. Sie machen sogar Werbung für
diesen Mist, in Lifestyle-Zeitschriften und Hochglanzmagazinen, schön verbrämt
unter einem weltanschaulichen Deckmantel.«
»Das erinnert mich an
alte Zeiten, von denen ich dachte, dass sie in der Vergangenheit ruhen«, sagte
Maria dumpf.
»Es sind echte
Arschlöcher«, sagte Gartelmann lakonisch. »Ihre Philosophie gleicht der des
Lebensborns. In der Nähe von Nürnberg unterhalten sie sogar ein eigenes kleines
Hospital, um sich auf klinischem Wege und unter strengen Auflagen
fortzupflanzen. Eine elitäre Seilschaft, die sich für was Besseres hält. Dann
gibt es den ›Heimatverein Sonnenrad‹. Das klingt zunächst freundlich und
harmlos. Aber bei der Polizei lagen schon damals Anzeigen wegen Nötigung und
wegen des Verdachts auf Volksverhetzung vor. Seltsames, verqueres Gedankengut,
das sich auf die Annahme stützt, dass das Volk der Kelten sich erheben wird und
durch seine geistige Überlegenheit die Weltherrschaft erlangt.«
»Aber das ist ja
lächerlich! Wie dumm muss man sein, um auf so etwas hereinzufallen?«
Wie eine Schildkröte
hockte Gartelmann auf seinem Stuhl und zog den Kopf zwischen die Schultern.
»Sehnsucht lässt sich ausnutzen, Frau Birnbaum. Wo sind die Grenzen? Was ist
noch legitim, und wo wird spirituelle Führerschaft zur Diktatur? Willige Opfer
scheinen sich immer zu finden, fast so, als würden die Leute Schlange stehen,
um ordentlich eins aufs Maul zu kriegen. Und sofern es einem Grüppchen gelingt,
sich den Anschein einer religiösen Vereinigung zu geben, wird das Grundrecht
der Religionsfreiheit geltend gemacht, das sich wie ein Schutzmantel über alle
Ungereimtheiten senkt. Und wenn die Mitglieder irgendwann merken, dass sie betrogen
oder auch nur benutzt wurden, dann …
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