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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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Zucken ihrer Achseln zur Kenntnis; gewisse klerikale Gazetten hatten allerdings gefordert, André Malek seiner Professur an der Wiener Universität zu entheben. Aber wie die Neue Freie Presse richtig schrieb, lebte man ja nicht mehr in der Zeit von Maria Theresia, als die Geheimpolizei fleißig damit beschäftigt gewesen war, Verschwörernester auszuheben und jakobinischen Umtrieben hinterherzuschnüffeln. Sogar der arme Franz Grillparzer war damals ein Opfer der kaiserlichen Zensurbehörden geworden. Sein erstes großes Drama – König OttokarsGlück und Ende, ein Stück, in das man beim schlimmsten Willen keine revolutionären Absichten hineinlesen konnte – durfte 1823 weder gedruckt noch aufgeführt werden. Zum Glück war das Manuskript danach der Kaiserin in die Hände gefallen, die es mit Gewinn und Genuss gelesen hatte; dem Drama wurde gnädig Lizenz gewährt, sodass es im August 1824 vor vollen Häusern gespielt werden konnte.
    Später hatte Grillparzer seinen Zensor getroffen, einen gebildeten, freundlichen und intelligenten Mann; er war auf den Dichter zugegangen und hatte ihm warm die Hände gedrückt. Was denn eigentlich, so erkundigte sich Grillparzer im vertraulichen Gespräch, an seinem Drama dermaßen Anstoß erregt habe, dass man es gleich verbieten musste? Die Antwort des freundlichen Zensors ist berühmt, sie lautete: »Nichts, gar nichts, aber ich habe mir halt gedacht: Man kann nie wissen.«
    Diese zwielichtige Epoche war längst passé. Heute konnte ein André Malek im k. u. k. Rundfunk und Staatsfernsehen nach Herzenslust Robespierre und Konsorten hochleben lassen. »Wissen Sie, warum ich ein Anhänger der Französischen Revolution bin?«, fragte er nun, während er sein Gesicht ganz nah an jenes von Alexej heranbrachte (leider muss gesagt werden, dass er aus dem Mund stank wie der Tod). »Weil sie real war. Robespierre war real. Saint-Just war real. Oh, ich weiß, ich weiß, Sie wollen mir jetzt gleich mit der Guillotine kommen, mit der terreur. Lassen Sie mich zur Antwort nur ein Wort zitieren, ein Wort von Saint-Just: Das, was die allgemeine Wohlfahrt hervorbringt, ist immer schrecklich. « An dieser Stelle war es Alexej nun schwergefallen, dem Philosophen weiter seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Ihm war ganz plötzlich Pater Prohaska eingefallen.
    František Prohaska war ein kleiner, stämmiger Mann gewesen, der ohne seine Mönchskutte wie alles Mögliche aussah – ein Möbelpacker, ein Gewichtheber, vielleicht auch ein erfolgreicher Einbrecher –, nur nicht wie ein katholischer Geistlicher. Er hatte am Stiftsgymnasium Melk Mathematik und Geschichte unterrichtet, eine ungewöhnliche Fächerkombination. Die Schüler mochten ihn, weil er keine Günstlinge hatte, auf Disziplin achtete, ohne allzu schwere Strafen zu verteilen, und gut erklären konnte; außerdem machte ihn sein böhmischer Dialekt liebenswert. (Wenn er »Jesus, Maria und Josef« sagte, was gelegentlich vorkam, dann klang das so: »Jeschasmárandjosseff.«) In den Schulpausen rauchte Pater Prohaska lasterhafte kleine Zigarillos, mit denen er die barocken Korridore des Stifts vollräucherte; und von ihm hatte Alexej also zum ersten Mal von der Vendée gehört.
    Pater Prohaska hatte sehr nüchtern von dem Aufstand in der Vendée erzählt, ohne Pathos. Von der Revolution im Jahre 1789, die auch unter den katholischen Bauern im Westen Frankreichs zunächst einmal sehr populär gewesen war; von der gnadenlosen Jagd auf Priester, die den Eid auf die republikanische Verfassung verweigerten. Von den zerlumpten und schlecht ausgerüsteten Guerilleros, die sich den Revolutionsheeren entgegengestellt hatten, am Anfang unter der Führung niedrig geborener Leute, erst später kamen Adelige dazu. »Dieu le Roi« lautete der Wahlspruch der Guerilleros, den sie auf ihre Kleider aufnähen ließen, Gott der König; ihr Symbol war ein blutrotes Herz, aus dem ein Kreuz wuchs. Von den überraschenden militärischen Siegen in Fontenay le Comte, Chantonnay und Torfou berichtete Pater Prohaska, aber er verschwieg nicht, dass die katholischen Kämpfer zerstritten waren und dass die Engländer sie im Stich ließen; und so brachen nach der ersten Hälfte des Jahres 1794 ungehindert die colonnes infernales in die Vendée ein, die »höllischen Kolonnen« der französischen Republik. František Prohaska erzählte, ohne dass ihm die Stimme gebrochen wäre, von niedergebrannten Ernten und Dörfern, von Exekutionen auf freiem Feld, von

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