Der Komet
und königlich«, es blieb bei »Österreichisch-Ungarische Monarchie« bzw. »Osztrák-Magyar Monarchia«, esblieb auch bei den »im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern und den Ländern der heiligen ungarischen Stephanskrone«; und im Übrigen war das Ganze keineswegs so fein geordnet, wie es sich nun wenigstens auf dem Papier ausnahm, sondern blieb, was es immer gewesen war: ein Pallawatsch.
Hinweis
Wie viele gesetzgebende Kammern es allein gab: nicht nur den österreichischen Reichsrat mit seinen zwei Häusern, sondern auch dessen Gegenstück in der ungarischen Reichshälfte, das, wie jedes Schulkind wusste, Magyar Országgyülés hieß; der ungarische Reichstag zerfiel ebenfalls in zwei Häuser: ein aristokratisches Oberhaus (Förendiház) und ein bürgerliches Unterhaus (Képviseloház); und unterhalb dieser Ebene (oder Ebenen) berieten und debattierten dann die einzelnen Kronländerparlamente. Ja, es war verwirrend, und oft genug kamen diese erlauchten Gremien einander in die Quere. Aber vielleicht – sehr wahrscheinlich sogar – war das in irgendeinem höheren Sinn auch ein Segen.
Franz Joseph II . stand auf, gähnte mit geschlossenem Mund (gehörte es sich denn, dass Kaiser gähnen?) und reckte majestätisch die Glieder. Es war ja ganz falsch, überlegte er dabei, wenn manche Historiker die Donaumonarchie als ein Gebilde beschrieben, in dem verschlafen die Zeit stillstand, als handle es sich um ein Dornröschenreich. Die Monarchie hatte sich doch immer wieder zu beinahe blitzartigen Anpassungsleistungen fähig gezeigt; ein wenig glich sie einer Eidechse, die stundenlang träge auf einem Stein in der Sonne liegt, aber wenn etwas ihre Existenz bedroht, huscht sie so schnell davon, dass das Auge ihr kaum folgen kann. Der »Ausgleich« des Jahres 1867, durch den die k. u. k. Doppelmonarchie überhaupt erst geschaffen wurde, war ein exzellentes Beispiel dafür. Die Ungarn hatten sich 1848 gegen ihre österreichischen Herren erhoben; dieser Aufstand war mithilfe des Zarenblutig niedergekämpft worden. Hinterher aber hatten seine Vorfahren den Ungarn, statt sie mit Skorpionen zu züchtigen, eine Hälfte des Reiches abgetreten
Hinweis
– quasi mit einem Augenzwinkern: in einem Akt, der revolutionär und konterrevolutionär zugleich war. Über das Reichsganze wölbte sich danach ein »Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten«, der aber nur für Langweiligkeiten wie Postverkehr und Außenpolitik verantwortlich war.
Im 20. Jahrhundert stutzte Franz II . dann den Einfluss der Ungarn auf ein gesundes Maß zurück und verwandelte das alte mitteleuropäische Reich in eine eher lockere Konföderation von Kronländern unter habsburgischer Aufsicht
Hinweis
: die Eidechse zuckte, sie huschte auf den nächsten Stein, die Monarchie war gerettet.
Während der Kaiser sich wieder in sein Bureau hinüberbegab, löste seine Melancholie sich allmählich in eine meditative Stimmung auf, so wie ein zäher schwarzer Sirup sich auflöst, wenn man ihn in Wasser tropfen lässt. Er ließ seine Assoziationen frei treiben, und sie trieben zum Grund hinunter, immer tiefer in die Geschichte zurück.
Franz Joseph II . grübelte also über einem esoterischen Wahlspruch, den Friedrich III . sich im 15. Jahrhundert ausgedacht, den er auf jeden kaiserlichen Teller hatte malen lassen: A.E.I.O.U. Mehr als 300 Deutungen existierten für diese mysteriöse, ominöse, letztlich wohl auch numinose Buchstabenfolge. Am bekanntesten waren die folgenden: Austria est imperium optime unita (Österreich ist das am besten geeinte Reich), aber auch: Austria est imperare orbi universo, oder auf gut Deutsch: »Alles Erdreich ist Österreich untertan.« Aber woher denn, sagte sich Franz Joseph II . im Stillen. Gar nicht wahr. Das k. u. k. Reich hatte außerhalb seiner Grenzen ja überhaupt keine imperialen Ambitionen mehr. Mit dem österreichischen Kolonialismus war es im Großen und Ganzen vorbei, seitAufständische 1867 seinen Urgroßonkel füsiliert hatten – den ersten und letzten Kaiser von Mexiko. Just so wie sein Vater hatte der Unglücksmensch geheißen: Maximilian. (»Möge mein Blut, das jetzt vergossen wird, dem Land Segen bringen«, waren seine letzten Worte gewesen. Ein frommer Wunsch. Gewiss doch: Präsident Benito Juarez, der die Exekution von Kaiser Max angeordnet und auf ihr bestanden hatte, war auf seine Art eine edle Gestalt gewesen; aber auf ihn war der Diktator Porfirio Díaz gefolgt … und auf Porfirio Díaz die Revolution
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