Der Kommandant und das Mädchen
weil es sonst keine Hoffnung gibt.”
Schweigend spazieren wir weiter. An der Ecke, an der die ulica Anna auf die Planty triff, hält Marta erneut an. Hier sollen sich unsere Wege trennen. Ich beuge mich vor, um sie auf die Wange zu küssen, aber sie weicht zurück. “Anna, da ist noch etwas …”
Ich halte inne, nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. “Was?”
“Es geht um deinen Onkel aus Lwów … ich will sagen, ich bin Jakub begegnet.”
Mein Atem stockt, als ich ihre Worte höre. “Ich weiß nicht, wovon du sprichst.” Trotz allem, was Marta und ich gemeinsam durchgemacht haben, warnt mich mein Instinkt und rät mir, auch jetzt nicht zuzugeben, dass ich verheiratet bin.
“Ich kenne die Wahrheit”, erklärt sie. “Er ist dein Ehemann. Er wollte es mir verschweigen, aber ich bin dahintergekommen. Ich erkannte es daran, wie er dich beschrieb.”
“Oh.” Betreten schaue ich zu Boden und scharre mit der Schuhspitze über das Pflaster. Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll. “Es tut mir leid, dass ich es dir verschwiegen habe. Wir mussten es geheim halten, zur Sicherheit für uns alle.”
“Das kann ich verstehen. Er ist ein wundervoller Mann, Anna”, erwidert sie leise. “Und er liebt dich sehr.” Ihre Stimme hat einen eigenartigen Unterton, den ich nicht deuten kann.
“Du kannst ihm das Gleiche von mir ausrichten”, erkläre ich mit ruhiger Stimme. “Falls du ihn wiedersiehst.”
“Das werde ich.” Ihre Gewissheit, meinen Mann abermals zu treffen, versetzt meinem Herzen einen Stich. Ich greife nach Martas Hand, als könnte das eine magische Verbindung zu Jakub herstellen, nur weil sie ihn berührt hat. Ihre Lippen fühlen sich kühl an, als sie meine Wange küsst. “Viel Erfolg, Anna”, wünscht sie mir im Weggehen.
Marta kennt Jakub
, überlege ich, während ich zügig zur Haltestelle auf der anderen Seite der Planty gehe. Vermutlich sollte mich das nicht wundern, denn so groß kann die Bewegung gar nicht sein. Und Marta weiß von unserer Ehe. Jakub muss großes Vertrauen in sie haben, wenn er dieses Geheimnis mit ihr teilt. Es sei denn … nein, ich schüttele den Kopf, weil ich darüber gar nicht erst nachdenken will. Etwas war seltsam an Martas Stimme, als sie von Jakub erzählte. Ich erinnere mich an eines unserer Gespräche im Ghetto, als sie mir anvertraute, es gebe da jemanden im Widerstand, für den sie Gefühle hege. Jemanden, der von ihr keine Notiz zu nehmen schien. Ob Jakub dieser Jemand war? Marta ist so direkt und offenherzig, vielleicht hat sie ihm einfach ihre Gefühle gestanden. Vielleicht hat sie sogar versucht, ihn zu küssen, und daraufhin hat er ihr von unserer Ehe erzählt, um sie von sich fernzuhalten und ihr nicht wehzutun. Ich koche vor Wut, als ich mir diese Szene vorstelle. Halt, ermahne ich mich. Lass dich nicht von deiner blühenden Fantasie mitreißen. Doch das Bild will nicht aus meinem Kopf verschwinden. Und sie wird ihn wiedersehen, überlege ich voller Unbehagen, als ich in den Bus einsteige.
Obwohl ich Krysia an diesem Tag von meiner Begegnung mit Alek und den anderen gar nichts erzählen will, sieht sie mich auf eine Weise an, die mir sagt, dass sie es längst weiß. Während Łukasz im Wohnzimmer auf dem Boden sitzt und sich mit seinem Spielzeug befasst, schaut mich Krysia so lange eindringlich an, bis ich nicht länger schweigen kann. “Ich habe heute Alek gesehen.”
“Ja?” Ihre Stimme lässt kein bisschen Erstaunen erkennen.
“Ja, er hat … einen Auftrag für mich.” Ich berichte ihr von den Passierscheinen und davon, welche Rolle ich spielen soll.
“Emma …”, beginnt sie und vergisst dabei mein Pseudonym. Ihre Augen verraten, welcher Konflikt in ihr tobt. Krysia weiß, dass Alek keine unnötigen Risiken eingeht. Wenn er mich um etwas bittet, dann muss es für die Bewegung von größter Notwendigkeit sein. Trotzdem ist sie besorgt. “Hast du Angst?”, fragt sie.
“Ganz entsetzliche Angst”, gestehe ich und lasse den Gefühlen freien Lauf, die ich zuvor in Martas Gegenwart nicht offenbaren konnte. “Nicht nur meinetwegen. Es betrifft auch dich, Łukasz, Jakub, meine Familie … einfach alle.”
“Du hast Angst zu versagen”, stellt sie fest. Ich nicke und fühle mich schutzlos und beschämt.
“Ja. Angst davor, erwischt zu werden, und Angst davor, was das für uns alle bedeuten würde.” Ich warte darauf, dass sie mir so wie stets Mut zuspricht und mir versichert, dass alles gut wird. Aber
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