Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Dreizehnjährigen, die gerade versuchten, sich aus ihrem Auto in ihr rechtmäßig erworbenes Reihenhaus am Rande von Stamberg zu begeben.
»O verdammt«, sagte Servinus. »Ist ja logisch, dass sie drüber schreiben! Was kann man sonst erwarten? Sommer. Mord. Junges Mädchen, wahnsinniger Priester! Wenn sie mit dieser Mischung keine Sondernummer verkaufen, können sie gleich das Handtuch werfen und sich stattdessen einer Heimatkundezeitschrift widmen.«
»Wann ist die Fahndung nach Jellinek rausgegangen?«, fragte der Hauptkommissar.
»Gestern Nachmittag«, antwortete Kluuge. »Wir dachten, das würde auch nichts mehr ändern, wenn es sowieso schon bekannt ist.«
»Richtige Entscheidung«, meinte Suijderbeck. »Eigentlich habe ich den Nornen ja gestern damit gedroht, ihn der Meute auszuliefern ... wenn sie heute um zwölf Uhr immer noch schweigen, aber die lesen ja keine Zeitungen, also ist mein Gewissen rein.«
»Du meinst das mit der Kondomspur?«, wollte Tolltse von Kluuge wissen. »Wie hat man das eigentlich zu verstehen?«
»Hm, ja«, sagte Kluuge. »Vielleicht sollten wir erst einmal versuchen, eins nach dem anderen zu behandeln. Als Erstes die Lage draußen in Waldingen, denke ich. Das Lager ist ja wohl bald leer, oder?«
Anja Tolltse schaute auf die Uhr.
»Noch ein Mädchen und eine Psychologin. Und zwei Polizisten, die Wache halten. Das Mädchen wird in einer halben Stunde abgeholt, wenn die die Zeit einhalten. Ja, dann können wir wohl unsere Zelte da draußen abbrechen, denke ich.«
»Viele Journalisten?«, fragte Servinus.
Tolltse nickte.
»Einige Autos, als ich von dort weggefahren bin. In erster Linie
schleichen sie herum und machen Fotos. An das Mädchen kommen sie nicht ran – aber es hindert sie natürlich nichts daran, sich an die Eltern zu hängen, wenn sie es abholen. Wenn sie unbedingt einen dreckigen Schnappschuss haben wollen ...«
»Gut«, sagte Suijderbeck. »Ein ehrenwertes Gewerbe, wirklich. Eines Tages werde ich noch aufhören, überhaupt Zeitungen zu lesen.«
»In Ordnung«, sagte Kluuge. »Jedenfalls ist der Suchtrupp auch heute im Wald unterwegs ... um nach dem anderen Mädchen zu suchen. Wir können nur hoffen, dass sie nichts finden.«
»Und dass sie den Schmierfinken nicht erzählen, wonach sie suchen«, sagte Lauremaa. »Wenn wir nicht selbst bekannt geben wollen, dass noch eine vermisst wird, meine ich.«
»Ich begreife nicht, warum wir nicht auch nach ihr fahnden«, bemerkte Tolltse. »Das wäre doch wohl das Beste, oder?«
Niemand antwortete. Suijderbeck zuckte mit den Schultern, und Kluuge versuchte Augenkontakt mit Van Veeteren aufzunehmen, aber der saß mit geschlossenen Augen da und ließ einen Zahnstocher aus einem Mundwinkel hängen.
»Tja«, sagte der Hauptkommissar nach einigen Sekunden Schweigen. »Ich glaube, das ist jetzt nicht wichtig. Denn auf jeden Fall wird sie nicht ermordet werden, während wir hier sitzen und uns über ihr Verschwinden unterhalten.«
»Wenn sie tot ist, dann ist sie es«, sagte Suijderbeck.
»Zweifellos«, sagte der Hauptkommissar. »Nein, wir müssen zuerst einmal die Eltern zu fassen kriegen. Wollen wir weitermachen?«
»The Weird Sisters?«, fragte Kluuge und sah ungewöhnlich verständnislos drein.
»Entschuldige«, sagte Van Veeteren. »Das war nur eine Anspielung. Macbeth. Wie läuft es also in Wolgershuus?«
»Na ja«, sagte Suijderbeck. »Im Westen nichts Neues, wenn wir es literarisch benennen wollen. An die ist einfach nicht ranzukommen.
Vielleicht gibt es noch eine geringe Hoffnung für Mathilde Ubrecht, aber das ist reine Spekulation. Sollten wir uns überlegen, eine herauszunehmen für eine etwas ... außergewöhnliche Behandlung, ja, dann würde ich jedenfalls sie empfehlen.«
»Immerhin etwas«, sagte Van Veeteren. »Nun gut, ich werde heute Nachmittag wohl mal hinfahren.«
»Ich habe gelesen, man könne Leute, die so widerspenstig sind, Alkohol einflößen«, schlug Servinus vor. »So bis zu anderthalb, zwei Promille ... dann fällt es ihnen schwerer, die Klappe zu halten.«
»Ich denke, ich werde erst einmal die nüchterne Variante versuchen«, sagte der Hauptkommissar. »Das erscheint mir ein wenig ethischer.«
»Ethisch?«, brummte Servinus. »Ich wusste gar nicht, dass wir hier Cricket spielen.«
»Wie lange dürfen wir sie unter diesen Umständen noch festhalten?« , wollte Lauremaa wissen. »Müssten wir sie nicht bald verhaften?«
»Bis Montag«, antwortete Servinus. »Wenn nichts
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