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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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verstehe das natürlich überhaupt nicht. Es ist einfach zu lange her, dass ich dabei war.«
    Das Lächeln vertrocknete und erstarb.
    »Aber, mein Gott«, versuchte er es wieder. »Das bedeutet ja, dass niemand eine Ahnung hat, wo er sich jetzt befindet? Oder haben Sie etwas von ihm gehört?«
    Ulriche Fischer antwortete nicht.
    »Um halb zehn am Sonntagabend«, wiederholte er. »Wo haben Sie ihn da gesehen?«
    Aber es war offensichtlich, dass sie ihre Mitteilungen an ihn beendet hatte. Das mit dem Fleisch und Geist war also als Schlusspunkt gedacht gewesen. Ihr Lächeln, das sie anschließend gezeigt hatte, war sicher nur ein Ausdruck ihres Wahnsinns allgemein.
    Er dachte eine Weile nach. Dann gab er auf und begann ruhig und methodisch seine Fragen vom Block herunterzuleiern  – achtzehn Stück –, aber auf keine einzige davon bekam er in irgendeiner Art eine Antwort.
    Keine einzige Antwort, nicht einmal ein Stirnrunzeln.
    Sicher bereut sie es schon, dachte er. Dass sie überhaupt den Mund aufgemacht hat.
    Die ganze Zeit die gleiche tadellose Vorsicht und Korrektheit, auch wenn sie ihm natürlich nach einer Weile reichlich aus dem Hals hing. Als Gegenzug auf ihr Schweigen hin machte er hinter jeder Frage, die sie ignorierte, einen deutlichen und laut hörbaren Strich auf seinem Block. Und es war etwas in diesem kurzen, scharfen Geräusch – immer wiederkehrend und unerbittlich wie ein Rasiermesser –, das doch etwas äußerst Ansprechendes an sich hatte.
    Wie ein Schnitt im Operationssaal, dachte er.

    Zehn Minuten später verließ er Wolgershuus, der ganze Besuch, inklusive seiner privaten Überlegungen unter der Kastanie, hatte nicht mehr als eine Stunde Zeit in Anspruch genommen, und es war schwer zu sagen, wie viel die Bruchstücke, die er aus Ulriche Fischer herausbekommen hatte, eigentlich wert waren.
    Aber natürlich gab es andere, die das besser beurteilen konnten als er selbst.
    Dachte Inspektor Jung in seiner üblichen kleidsamen Anspruchslosigkeit und machte sich auf den Rückweg durch den Wald. Es roch nach warmem Harz zwischen den Fichten, wie er feststellte, und er konnte kaum Sorbinowo vor sich erahnen, da merkte er bereits, wie ihm das Hemd am Rücken klebte und sein Flüssigkeitshaushalt im Ungleichgewicht war.
    Wenn Reinhart noch nicht zurück ist, werde ich eine Runde im See schwimmen, beschloss er.
    Und dann ein Bier.

32
    Nach dem Gespräch mit Uri Zander fuhr Hauptkommissar Van Veeteren zunächst in die Stadt zurück und aß im Restaurant Stamberger Hof zu Mittag. Die Uhr zeigte fast halb zwei, als er sich hinsetzte, und da er sich an diesem Tag mit nicht weniger als drei Gängen zufrieden gab – Paté, Seezunge und Birne in Cognac – war es bereits weit nach drei Uhr, als er fertig war.
    Nach einem gewissen Zögern (aber dann doch der Vernunft hinsichtlich der Verdauungsfrage folgend) setzte er sich nach beendeter Mahlzeit wieder ins Auto und bewegte sich aus Stamberg hinaus. Er fuhr fünfzehn Minuten Richtung Osten und fand dann ohne größere Mühe ein hübsches schattiges Buchenwäldchen am Fluss Czarna. Dort bereitete er sich mit Hilfe einer Decke und eines Kissens ein einfaches Lager, zog sich die Schuhe aus und richtete sich für einen Mittagsschlaf ein.
    Wieder träumte er von einem friedlichen Antiquariat, einer
Frau mit kastanienbraunem Haar und einem blauen Meer, und als er nach vierzig Minuten aufwachte, wurde ihm klar, dass er ja einen Flugschein für ein Flugzeug hatte, das in knapp zwei Tagen von Maardam abheben sollte. Er setzte sich auf.
    Zweifellos etwas merkwürdig, der Traum wie auch seine Zukunftsaussichten. Besonders wenn man dabei mit in Betracht zog, dass er im Augenblick an einem unbekannten, trägen Fluss saß und einige ebenso träge und unbekannte Rindviecher betrachtete, die ihn aus dem hohen Gras auf der anderen Flussseite anstierten.
    Was zum Teufel mache ich eigentlich? dachte er und wusste, dass das eine sehr alte und bewährte Frage war. Und eine unbeantwortete.
    Hundertfünfzig Kilometer entfernt saßen eine Ermittlungsgruppe und hundert Journalisten und warteten darauf, dass die Konturen eines Doppelmörders deutlicher hervortreten würden.
    Oder aber darauf, dass ausgerechnet er – der berühmte Hauptkommissar Van Veeteren, der nur einen einzigen ungelösten Fall vorzuweisen hatte – ihn ausgraben würde.
    Oder sie?
    Er rutschte zwei Meter weiter, lehnte sich gegen einen Buchenstamm und erinnerte sich plötzlich an eines von Mahlers

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