Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
Mal, wenn er zum Wasserspender ging – und das tat er gerade, als das Telefon im Revierraum klingelte – bewegte er sich wie der geborene Athlet.
»Kapitalverbrechen«, sagte Flood beim dritten Klingeln.
»Jenkins, Detective. Wir haben einen möglichen Zwo-Zwölf. Anrufer sagt, die Totempfähle im Stanley Park.«
Flood legte sich seinen Block zurecht. »Wo ist der Anrufer jetzt?«
»In einer Telefonzelle.«
»Welche Telefonzelle?«
»Äh … hab ich vergessen, ihn zu fragen.« Im Kopf des Disponenten dröhnte es immer noch.
»Na ja, wenn er noch an der Leitung ist, dann frag ihn eben jetzt. Ich warte so lange.«
Das Telefon verstummte.
Etwa zwei Minuten blieb Flood da stehen, wo er gerade war. Es war jetzt 02:25 Uhr, Nachtschicht, es schneite, der Revierraum war praktisch leer. Mit den nicht besetzten Schreibtischen und schweigenden Schreibmaschinen wirkte er wie eine verlassene Höhle. Eine der Neonröhren war im Begriff, ihren Geist aufzugeben, ihr weiches Flackern beleuchtete den Raum. In einem anderen Teil des Gebäudes klingelte ein Telefon. Niemand nahm ab. Während er neben dem Schreibtisch stand und wartete, bis der Disponent sich wieder meldete, griff Flood nach einem Rundschreiben, das die RCMP herausgegeben hatte. Es war die Anforderung einer Koordinationsstelle nach irgendwelchen Informationen, die auch nur entfernt in Zusammenhang mit zwei Todesfällen stehen könnten. Beide Leichen, so konnte man in dem Rundschreiben lesen, waren ohne Kopf aufgefunden worden. Flood war immer noch am Lesen, als die Leitung wieder aktiv wurde.
»Detective. Ich bin’s wieder, Jenkins. Bist du noch da?«
»Natürlich. Wo ist er?«
»Draußen bei der University of BC. Der Typ sagt, er ruft vom Anthropologischen Museum aus an, aus einer Telefonzelle in der Nähe.«
»Das ist wenigstens acht Kilometer vom Stanley Park entfernt. Wieso weiß er etwas über die Leiche?«
»Also, anscheinend ist es nicht am Stanley Park. Es sind die Totempfähle bei der UBC.«
»Ich dachte, du hättest Stanley Park gesagt.«
»Ich habe mich geirrt.«
»Hm hm. Habe ich dich nicht gestern im Sportclub gesehen, Jenkins? Umgeben von leeren Flaschen?«
»Äh … yeah, kann schon sein.«
»Also, sag den Mounties Bescheid. Die sind für die Leiche zuständig.«
»Richtig. Gottseidank nicht wir. Die Leiche hat keinen Kopf.«
Flood hätte beinahe den Hörer fallen lassen. Wie die meisten Leute in der Stadt, die lesen konnten, hatte er auf der Titelseite einer der beiden größeren Zeitungen den Bericht über die kopflosen Leichen mitbekommen. Und im Fernsehen hatte er es auch gesehen. Und kurz zuvor hatte er das Rundschreiben der RCMP an alle örtlichen Polizeikräfte überflogen – und nun teilte ihm zu allem Überfluss ein verkaterter Polizeidisponent mit, dass es eine weitere kopflose Leiche gab und dass in diesen allerwichtigsten Augenblicken jeder polizeilichen Ermittlung – nämlich den ersten paar Minuten, in denen die Polizei auf den Anruf reagiert – sie, also das Police Department von Vancouver, Mist gebaut hatten. Flood musste sich die bekannte Polizeiweisheit gar nicht erst ins Gedächtnis rufen. Er wusste, dass sich die Chance, einen Fall als ungelöst ablegen zu müssen, mit jeder in der Anfangsphase verlorenen Minute potenzierte.
»Also, dann leg schon los, Mann! Hol die Mounties an die Strippe!« Flood brüllte es fast ins Telefon. Das passte gar nicht zu ihm, denn gewöhnlich war er ein sanfter, liebenswürdiger Mann.
»Geht in Ordnung!«, sagte der Disponent, und dann war die Leitung tot.
02:31 Uhr
Constable Ron Mitchell stand inmitten der herabrieselnden Flocken und starrte ungläubig zum Himmel. Die Szene war beinahe surreal – so unheimlich war sie. Die an den Begräbnispfahl genagelte Leiche wurde jetzt nicht nur vom Licht am Sockel des Totempfahls, sondern auch von den Scheinwerfern an Mitchells Streifenwagen angestrahlt. Er hatte den Wagen über die Zugangsstraße vom Chancellor Boulevard unmittelbar auf die Plaza vor dem Museum of Man gesteuert. Dann war er, immer darauf bedacht, nicht zu nahe zu kommen und den Tatort nicht zu beschädigen, auf die Motorhaube des Wagens geklettert, um besser sehen zu können. Und was er sah, war diabolisch.
Wer auch immer die Leiche hierhergeschleppt und an den Querbalken genagelt hatte, hatte zusätzlich noch einen Behälter mit Blut über die Reste der Leiche geschüttet. Der etwa fünf Liter fassende Plastikkanister lag auf dem Boden und Mitchell konnte
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