Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
große Auswahl.«
Einen Augenblick lang waren sie beide stumm, als würde jeder die zwölf verstrichenen Jahre in eine gewisse Perspektive bringen und den anderen dazu benutzen, eine Vorstellung davon zu bekommen, wo er gewesen war. Schließlich zuckte Joseph Awakomowitsch die Achseln und sagte: »Chartrand hat mir gesagt, dass Sie ihm eine Bedingung gestellt haben.«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich die Leitung der Ermittlungen nur dann übernehme, wenn er Sie dem Fall zuteilen würde. Damit war er einverstanden.«
»Ganz wie früher«, sagte der Wissenschaftler.
»Ganz wie früher«, wiederholte der Polizist.
»Und wenn wir diesen Kerl dingfest machen, feiern wir?«
»Ich lade Sie in mein Haus ein, damit Sie Genevieve kennenlernen.«
»Dann wollen wir jetzt aufhören, Tränen in unser Bier zu vergießen. Fangen wir an, Robert. Ja, das ist mir ernst. Ich bin verdammt froh, dass Sie zurückgekommen sind, und es ist wirklich gut, Sie wiederzusehen.«
»Mir geht es genauso. Machen wir uns an die Arbeit.«
Sie zahlten und traten auf die Cambie Street hinaus. Auf dem ganzen Weg zurück zur Headhunterzentrale schien die fahle Oktobersonne auf den Park zu ihrer Linken, ließ das Gras in einem strahlenden Grün leuchten, flirrte über die vereinzelten Flecken, wo der Schnee liegen geblieben war, weil die Bäume sie vor dem Regen geschützt hatten. Ein paar kleine Kinder bewarfen sich mit matschigen Schneebällen.
»Gestern Abend habe ich die letzte Maschine aus Ottawa genommen«, sagte Awakomowitsch. »Ich bin um fünf hier angekommen und konnte nicht schlafen, also bin ich ins Labor gegangen. Ich habe mich etwa eine Stunde mit dem Umschlag befasst, der der Sun zugeschickt wurde. Das ist ein raffinierter Typ, Robert. Auf keinem der beiden Fotos gibt es Abdrücke, auch nicht auf dem Bestellformular oder dem Umschlag – nur Abdrücke der Zeitungsangestellten. Ich habe die Gummierung an der Umschlagklappe serologisch untersucht und gehofft, ich könnte zeigen, dass der Speichel von jemand mit einer bestimmten Blutgruppe stammt. Ich habe nichts gefunden. Ich glaube auch nicht, dass der Headhunter den Umschlag angeleckt hat. Ich denke, er hat ihn mit Wasser angefeuchtet. Es ist fast, als hätte der Killer gewusst, dass wir einen solchen Test machen würden. Die Schriftart der Adresse konnte ich isolieren. Sie stammt von einer kleinen Commodore Reiseschreibmaschine, die in Toronto hergestellt ist. Wenn Sie die Schreibmaschine finden, werde ich die Verbindung herstellen können. Der Buchstabe C sitzt etwas schief und bremst den Wagen.«
Als sie das Gebäude der Zentrale betraten, schien immer noch die Sonne. Im Westen waren am Horizont Sturmwolken aufgezogen und drängten vom Meer herein.
08:55 Uhr
Wenn DeClercq in den Akten, die sich mit Helen Grabowski und dem Skelett von North Vancouver befassten, wenig Greifbares gefunden hatte, so lieferte ihm der Joanna-Portman-Fall dafür andere Probleme. Ihre Akte war beinahe zehn Zentimeter dick und die Leiche war erst vor zwei Tagen gefunden worden. MacDougall und Rodale hatten offenbar rund um die Uhr gearbeitet und ihre Gruppe hatte bereits über hundert Personen befragt: Ärzte, Schwestern und Verwaltungspersonal im St. Paul’s Hospital; die Fahrer des British Columbia Hydrobus auf der Route Macdonald; Portmans Vermieterin in Kitsilano und alle Nachbarn in sämtlichen Häusern zwischen der Bushaltestelle, wo sie ausgestiegen war, und ihrem Haus, das sie nie erreicht hatte. Dabei war nichts herausgekommen. Niemand hatte etwas gesehen.
Ein Team von Detectives war nach Regina, Saskatchewan, geschickt worden, wo die Schwester aufgewachsen war. Sie hatten ihre Mutter befragt, ihr Freunde und Freundinnen von der High School, die Angestellten im Gray Nuns’ Hospital, wo sie ausgebildet worden war. Das Opferprofil, das dabei herauskam, zeigte eine beliebte, freundliche junge Frau mit starker religiöser Bindung und großer Liebe zu Menschen. Sie hatte keinen Freund, nur ihre Arbeit.
DeClercq hatte die Portman-Akte mehrmals gelesen und konnte anhand des Beweismaterials darauf schließen, dass Jack MacDougall ein Beamter mit großen Fähigkeiten war. Sämtliche Berichte waren erfasst, analysiert, indexiert und mit Querverweisen zu einem kohärenten Ganzen zusammengefügt worden. DeClercq war mehr als den meisten seiner Kollegen bewusst, wie wichtig die hohe Moral der Truppe in deren Geschichte gewesen war. Diese Tradition stellte ihre größte Stärke dar, dieses Gefühl von
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