Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
anderen Opfern eine vertikale Halswunde gab. Außerdem hatte der Pathologe Abstriche an ihrer Vagina und ihrem Anus vorgenommen, um daraus Hinweise abzuleiten, ob es sich um eine Sexualtat handelte. Der Abstrich aus der Vagina hatte Sperma gezeigt. Die Spermazellen waren unbeweglich und von geringer Zahl. DeClercq wusste aus Portmans Akte, dass aus den Ermittlungen kein Hinweis auf die Existenz eines Freundes zu entnehmen war. Ein unfreundlicher Angestellter hatte sie sogar als »zickig« bezeichnet. Aus früheren Fällen war dem Superintendent wohl bewusst, dass die Entdeckung von Sperma in der Vagina und die Bestimmung der seit dem Verkehr verstrichenen Zeit von einer Anzahl miteinander verknüpfter Faktoren abhängen: von der ejakulierten Menge und der Tiefe, in der die Ejakulation stattgefunden hat, dem Zustand der Vagina bezüglich des Säure-Alkali-Gleichgewichts, Menstruation und Infektion; Sterilität des Mannes; ob die Frau liegen geblieben oder in der Zwischenzeit herumgegangen war. Generell galt, dass 36 Stunden nach dem Verkehr kein Sperma mehr festgestellt werden kann. Nach 24 Stunden sind die Geißeln der Spermatozoen abgebrochen, die Beweglichkeit endet nach etwa sechs Stunden. Im Falle von Joanna Portman war das in ihrer Leiche gefundene Sperma unbeweglich und die Geißeln waren abgebrochen. Das und die geringe Menge der Spermien deuteten darauf hin, dass der Verkehr innerhalb einer Zeitspanne von 24 bis 36 Stunden vor der Autopsie stattgefunden hatte. Der Tod und die Abkühlung der Leiche verkomplizierten die Analyse. Obwohl die Anwesenheit von Sperma nicht per se auf Vergewaltigung hindeutete, hatte der Pathologe auch festgestellt, dass sowohl die Vagina als auch der externe Genitalbereich Prellungen und Verletzungen aufwiesen und hatte daraus gefolgert, dass ein Sexualverbrechen und Mord vorlagen. Und dieser Meinung schloss sich DeClercq an.
Er griff nach seinem Block mit den Fragen und schrieb.
1. Sexueller Psychotiker oder sexueller Psychopath?
2. Ist das Geschlecht der Opfer die einzige Verbindung zwischen ihnen?
3. Findet der Mörder sexuelle Befriedigung, wenn er das Leben von Frauen beendet?
4. Spermaimmotilität = Sterilität?
5. Braucht der Mörder die Erinnerung an die Verbrechen, um eine normale Beziehung mit seiner Frau oder Freundin aufrechtzuerhalten? Beruht seine sexuelle Erregung insgeheim auf der Erinnerung an seine Tat?
6. Pathologischer Hass auf alle Frauen?
7. Oder ist alles nur Vorwand oder Tarnung für irgendwelche persönlichen Gründe in Bezug auf eines seiner Opfer?
8. Werden wir es je wissen?, dachte er, schrieb es aber nicht nieder.
Blieb der Totempfahl.
Im Winter von 1973 auf 1974 entsetzte sich die Stadt San Francisco über die sogenannten Zebra-Morde. Zebra war die investigative Bezeichnung für einen Kult von Schwarzen Moslems, die systematisch 20 weiße Opfer angegriffen und vier von ihnen getötet hatten. Einige Jahre zuvor hatte Charles Mansons Familienkult der »Creepy Crawlies« in Los Angeles sieben Weiße hingemetzelt, in der Hoffnung, damit seine apokalyptischen Visionen von einem Rassenkrieg umzusetzen. Dann war da der »Reverend« Jim Jones. Und den Ku-Klux-Klan hatte es natürlich schon immer gegeben.
Heutzutage gab es überall Kulte, zumindest einen für jedes Motiv.
Der Totempfahl beschäftigte DeClercq.
Er beschäftigte ihn zum Teil, weil der Portman-Mord eine Änderung der Vorgehensweise, des »Musters« darstellte. Der Mörder war ein großes Risiko eingegangen, um eine Art Statement abzugeben. Vielleicht war diese Botschaft nicht mehr als das plötzliche Verlangen nach Aufmerksamkeit. Möglicherweise war der Totempfahl nicht mehr als eine willkürlich gewählte Methode, um diese Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber vielleicht war der Totempfahl auch Teil der Botschaft selbst.
Noch mehr aber störte DeClercq die Art und Weise, wie der Täter die Leiche positioniert hatte. Die Frau einfach an den Totempfahl zu nageln, sorgte schon für genügend Aufmerksamkeit. Aber der Headhunter hatte sie fast fünf Meter in die Höhe gezogen und ihre Hände dann so an die Querstange genagelt, dass die Schnitzerei auf der Stange so etwas wie einen Ersatz für ihren Kopf darstellte. Das waren zu viel Arbeit und zu viel Risiko - es sei denn, es gab dafür einen besonderen Grund.
Und schließlich störte ihn auch das Totem selbst.
Wenn man im Pazifischen Nordwesten lebte, war es schwer vorstellbar, dass man sich nicht wenigstens rudimentäre Kenntnisse über
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