Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
gerade durch den Kopf gegangen, Robert«, fragte er den Superintendent.
Es dauerte einen Augenblick, bis DeClercq sich ganz herumgedreht hatte, dann deutete er auf die Bilder aller drei Opfer.
»Fällt Ihnen etwas auf?«, fragte er den Wissenschaftler.
Der Russe überlegte einen Augenblick und nickte dann. »Ja. Alle drei Frauen haben rabenschwarzes Haar.«
Joseph Awakomowitschs Vorgeschichte war ungewöhnlich.
Er war in der Ukraine zur Welt gekommen, als die noch Teil der Sowjetunion gewesen war. Seine Eltern hatten in einem landwirtschaftlichen Kollektiv gearbeitet. Beide waren während des Vormarschs der Nazis auf Stalingrad hingemetzelt worden, der Junge war damals 14 Jahre alt gewesen. Awakomowitsch war in einem staatlichen Heim aufgewachsen und man hatte ihn wegen seiner hohen Intelligenz frühzeitig für eine erstklassige Sowjetausbildung ausgewählt. Anfang der 60er-Jahre, als er 30 war, besaß er bereits vier Universitätsabschlüsse und war ein führender forensischer Wissenschaftler in der sowjetischen Wissenschaftsakademie. Schon damals genossen die Techniken, die er entwickelt hatte, im Westen großen Respekt und wurden auch dort eingesetzt.
1963 hatte Moskau ihn nach Ost-Berlin geschickt. Kurz nachdem Präsident John F. Kennedy dort die berühmten Worte »Ich bin ein Berliner!« gesprochen und die Westdeutschen zu ekstatischen Reaktionen bewegt hatte, war die ostdeutsche Polizei mit einer verblüffenden Serie von homosexuellen Morden konfrontiert gewesen. In jedem einzelnen Fall war ein Deutscher in mittleren Jahren vergewaltigt und erwürgt worden und man hatte immer beide Hände der Getöteten mit einem Seil an ihren Hals gebunden. In der zusammengekrallten Hand des fünften Opfers fand man einen Knopf von der Uniform eines Sowjetsoldaten. Als diese Nachricht durchgesickert war, hatte das ostdeutsche Militär einen anti-sowjetischen Aufstand niederschlagen müssen. In jener Nacht wurde – Minuten vor dem Eintreffen Awakomowitschs – ein sechstes Opfer gefunden.
Der russische Wissenschaftler brauchte 14 Stunden, um den Fall zu lösen. Er schaffte es, indem er ein Seil untersuchte.
Die ersten fünf Mordopfer hatte man in geschlossenen Räumen gefunden. Aber der letzte Fall war anders gewesen. Die Vorgehensweise war dieselbe, die Sexualtat, das Fesseln, das Strangulieren – aber um den Hals des Opfers hatte der Täter ein zweites Seil geschlungen und die Leiche dann aus einem Fenster im vierten Stock über einer unbeleuchteten Straße hinausgehängt.
Jedes Seil hat bestimmte, durch seine Fasern bedingte Eigenschaften. Awakomowitsch fand mehrere Stellen, an denen die Fasern verdreht waren, und entdeckte dann an exakt diesen Stellen Splitter, entweder von Autolack oder einer Chromplatte. Nach zwei Stunden Arbeit mit einem Chromatografen hatte er das Baujahr und die Marke des Fahrzeugs identifiziert. Es war ein Nazi-Volkswagen, Baujahr 1943.
Zwei Stunden später hatte die ostdeutsche Zulassungsbehörde die Fahrzeugnummer gefunden, denn nach den sowjetischen Bombardements Ost-Berlins gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte es nicht mehr sehr viele, noch intakte Nazi-Fahrzeuge gegeben. Eineinhalb Stunden später wurde ein Ostdeutscher verhaftet. Der KGB stellte bei ihm eine Verbindung zum amerikanischen CIA fest. Und Awakomowitsch stellte eine Verbindung zu der aus dem Fenster hängenden Leiche fest. Damit wurde der Fall abgeschlossen – und an die Propagandaabteilung weitergeleitet.
Die Lack- und Chromspuren an dem Seil, mit dem das sechste Opfer erhängt worden war, deuteten darauf hin, dass dasselbe Seil um den Dachträger des Fahrzeugs geschlungen und dann hinten am Fahrzeug ein paarmal um eine Seite der Stoßstange gewickelt worden war.
Als der ostdeutsche Agent der CIA verhaftet wurde, ergab die Untersuchung seines Wagens, dass eines von zwei Seilen, mit denen die rechte Stoßstange festgebunden war, vor Kurzem entfernt worden und verschwunden war. Unglücklicherweise wurde dem Mann nie der Prozess gemacht, und so war es Joseph Awakomowitsch erneut versagt, in einem konkreten Fall die Präzision seiner Arbeit unter Beweis zu stellen. Unerklärlicherweise hatte der Mann beim Verhör durch den KGB einen Herzanfall erlitten – aber erst, nachdem er ein Netzwerk mit 17 NATO-Spionen auffliegen ließ.
Am nächsten Tag wurden alle 17 erschossen und in Moskau wurde bekannt gegeben, dass dem forensischen Wissenschaftler Joseph Awakomowitsch für seine Aufklärungsarbeit der Lenin-Orden
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