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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und schrie: »Dora, Dora, bück dich, so bück dich doch! Hast ’n Löffel geschluckt?«
    Dora, dicht bei der Straße, hob schnell ihr Gesicht, aber nicht zu ihrem Vater, sondern zu Johann. In der grauen Luft schien ein Loch zu sein, durch das ihr weißes, vor Erschöpfung glänzendes Gesicht sah. Sie hatte kein Tuch auf, ihre dünnen, naßglatten Zöpfe glitschten im Bücken mit dem Korn zusammen. Bastians Frau arbeitete, ohne sich im geringsten um jemand zu kümmern, nicht grade schnell, aber auch ohne zu stocken. Der Abend war längst da, grau, unsommerlich.
    Später, als sie die Straße hinuntergingen, sagte Bastian: »Gut, Johann, daß du dageblieben bist. Wir wären ohne dich steckengeblieben.«
    Dora fing plötzlich an, gegen die Lichter zu rennen, die unten im Dorf angegangen waren. Bastian schüttelte den Kopf. »Die rennt sich ihr bißchen Kraft weg.« Johann sagte: »Im Osten, wißt Ihr, gehört einem Mann so viel, wie dem Dorf bei Euch. Alles verkauft er.« Bastian sagte ruhig: »Ich weiß schon, ich bin ja rumgekommen. Das ist ein andres Land. Bei uns hat noch nie ein Mensch an Brot verdient. Brot, das ist zum Leben. Nich mal die Merzens verdienen dran. Ja, die haben es dick, die machen in guten Jahren oft Wecken, Nudeln, Klöße. Denen kommt es nicht auf das Schmalz an oder ein paar Eier in den Teig geschlagen. Bei uns, wenn da ’n Ei ’nen Sprung kriegt und ausrinnt, das bedeutet gleich ’ne Prise Salz weniger, ’nen Zwirn weniger, ’ne Nähnadel weniger.« Johann sagte: »Manche freut der Regen, die haben noch Korn vom vorigen Jahr, die brauchen keins.« Bastian sagte: »Ich sag dir ja, das sind andere Menschen.«
    Dora war am Eingang des Dorfes stehengeblieben, bei ihrer eigenen Tür. Sie sah bestürzt aus, als hätten sie falsche Lichter in ein falsches Dorf gelockt. Hinter der Tür hörte man das ineinander verschlungene Weinen von dreikleinen Kindern. Sie durften kein Licht anknipsen, bevor die Eltern vom Feld kamen.
    Die Bastian machte auch jetzt kein Licht an, sondern Feuer im Herd. Die Kinder schlürften die letzten Tränen. Alle drängten sich um den Herd und warteten auf etwas Glut. Johann zog sein nasses Hemd aus – er hatte keins zum Wechseln. Vielleicht weil sie das merkte, fing auf einmal die Margarete Bastian zu fragen an: »Was macht er eigentlich, der Schulz, dein Vater?« – »Was soll er machen? Er sitzt rum.« – »Und du, was haste eigentlich gelernt?« – »Ich, stempeln. Na, ich war mal Hilfsarbeiter in einer Gießerei. Das sind auch jetzt schon drei Jahr her. Meine Schwester macht den Haushalt soso.« Bastian sagte: »Wir kommen wohl gleich weit voran. Wir sind alle noch am Leben.«
    Johann dachte auf einmal, wenn er ihm alles erzählte, er würde wohl erschrecken, aber ihn keinesfalls fortschicken. Er sagte: »Fragste mal, warum? Was kriegste zur Antwort? ’n Tritt.« Bastian sagte: »Man braucht gar nich zu fragen. Man hat, was einem gehört, im Bauch und auf dem Buckel.« Johann biß sich auf die Zunge.

Viertes Kapitel
I
    Man fing an zu dreschen. Jakob Schüchlin war einer von den ersten. Die Dreschmaschine stand auf Merzens Hof. Der hatte damals den Hauptteil anbezahlt. Der übrige Teil war zu Lasten der Gemeinde bezahlt worden, die sie nach einer bestimmten Ordnung benutzte.
    Susann Schüchlin hatte Kopftuch, Wimpern und Kleider voll Spreu. Ihr Hals war rauh, ihr Leib war noch immer dick. Schüchlin ließ die Frau Arbeiten machen, wo sie auf dem Boden rutschen, und solche, wo sie Lasten schleppen mußte. Aber Bastian hatte recht gehabt, als er zu Johann sagte: ein zähes Kind, bleibt fest. Schüchlin konnte das alles befehlen, die Frau gehorchte – das Kind blieb.
    Eines Morgens fing es an, auf dem Weg zur Milchsammelstelle. Die Schüchlin war schon fast mit ihren Eimern angelangt, als sie in ihrem schwachen Kopf begriff, daß es immer so anfing, bevor sie Söhne zur Welt brachte. Das waren dieselben eintönigen, mit Schüchlins Fäusten verglichen, ziemlich geringen Schmerzen. Das dauerte noch. Sie wollte die Eimer abgeben.
    Viele Frauen warteten. Sie gaben nicht auf die Schüchlin acht, die doch nie antwortete. Die Frau stellte sich an und setzte die Eimer auf die Erde. Niemand merkte, daß sie stöhnte. Die Frauen drehten sich erst um, als sie schrie. Als die Schüchlin ihren eigenen Schrei hörte, duckte sie sich zusammen und drückte die Augen zu vor Schreck. Sie erwartete einen Schlag auf den Mund. Als nichts kam, machte sie die Augen auf. Da erblickte

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