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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sie eng um sich herum einen Kreis von runden, von Neugierde übermäßigglänzenden Blicken. Sie fürchtete sich und zerriß ihn mit der Hand und machte ein paar Schritte heimwärts. Dann schraubte sie sich gegen die Erde zusammen. Sie begann zu merken, daß diese Schmerzen doch andere waren als alle täglichen, auch als die, die sonst ihren Geburten vorausgingen. Sie wollte noch ein Wort hervorbringen, aber ihre Stimme war vom Dreschen stockheiser. Sie sah sich verzweifelt um, als hätte sie etwas Unentbehrliches vergessen, ohne das man nicht leben und nicht sterben kann.
    In diesem Augenblick drückte sich Marie Algeier mit den Ellenbogen durch die Frauen, um zu sehen, was es gäbe. Sie begriff, daß das Wort, mit dem die Schüchlin nicht fertig wurde, Eimer hieß. Sie faßte daher die Eimer, trug sie in den Hof und ließ sich abfertigen. Inzwischen kamen die Frauen überein, die Hebamme zu holen. Das verzögerte sich aber, weil die Schüchlin zu dem Vorschlag nicht ja, nicht nein sagte. Marie kam zurück, es war grade Abrechnungstag, sie stopfte der Schüchlin das Geld in die Schürzentasche. Die Schüchlin krümmte sich wieder zusammen, aber sie schrie jetzt nicht mehr. Das war längst nichts mehr zum Schreien – die Frauen starrten sie reglos an, verzaubert von dieser Geburt, die nicht die ihre war, berauscht von solchen unerträglichen Schmerzen, die sie gar nicht spürten. Doch für die Schüchlin waren nicht die Schmerzen das Unerträgliche, sondern die Pause zwischen den Schmerzen. Bisher hatte sie nur Schlechtes gekannt, ohne Atem, ohne Unterbrechung. Jetzt gab es sinnlose Ruhepunkte, da lichtete sich ihr Kopf für alle Menschengedanken, um sich im nächsten Augenblick vollkommen zu verdunkeln. Zwischen zwei Wehen, inmitten der atemlosen Frauen, deren Blicke vor Neugierde leuchteten, weitete sich ihr Kopf zu dem furchtbarsten und wildesten Gedanken, den Menschen ausgedacht haben: die Hoffnung auf den Tod.
    Marie Algeier faßte die Schüchlin unter den Achseln.Das uferlose Gesicht der Schüchlin spiegelte sich in Mariens rundem, festem Gesicht, in ihren klaren und sanften Augen. Und doch enthielt dieses Spiegelbild nur den einzigen heißen Wunsch, ewig lange auf Erden zu leben.
    Marie hängte sich die eigenen und die fremden Eimer in den einen Arm und führte mit dem anderen die Schüchlin. Sie kamen grade recht. Wenige Minuten später hörten Schüchlins Nachbarn, die Bastians, das wütende Geschrei eines gesunden Knaben.
    Der Bauer Schüchlin kam mittags heim. Er fand alles in Ordnung.
    Er war bestürzt, doch konnte er zunächst den allzu beharrlichen Gang der Dinge nicht abstellen. Er ging also zum alten Merz und meldete sein Kind dem Staat an. Dann ging er zum Pfarrer und meldete das Kind zur Taufe an. Am zweiten Tag hatte die Schüchlin die Brust voll Milch, am dritten Tag stand sie auf zur Hausarbeit, am vierten Tag besorgte sie alles. Sie hatte genau wie ihr Mann die Hoffnung aufgegeben und vergaß sie.
II
    Algeier hätte vielleicht mit dem Milchauto in die Stadt fahren können, aber er ging lieber zu Fuß. Er wollte kein Gefrage, am wenigsten nach seiner Rückkehr.
    Der Regen war endgültig vorbei. Algeier selbst hätte Staub und Hitze für Sommer gehalten, wenn er nicht gewußt hätte, daß das Korn eingebracht war. Seine Beklommenheit legte sich, er wurde müde. Er lief über die Landstraße zwischen den Feldern von zwei Gemarkungen. Er wurde wieder erregt, als die Felder aufhörten und Bauplätze anfingen und eingezäunte leere Sandbrüche. Er hätte sich gern in das erste Wirtshaus gesetzt, an dem schmalen, öligen Kanal, der Schuhwichsfabrik gegenüber. Aber er wollte das erst tun, wenn er seiner Sache und seinerGroschen sicher war, wenn er den Atem nicht einzuziehen brauchte, sondern ihn herausstoßen konnte.
    Er überquerte die Eisenbrücke über dem Kanal. Ein paar Burschen mit Schirmmützen kamen von der Fabrikseite. Die überlegten sich nicht die Groschen fürs Bier; ihre Blicke kamen ihm dreist vor. Er spürte zum erstenmal, daß sein Hut übermäßig groß und am Rande zerfranst war. Sein Herz war schwer. Er kam auf eine glatte Straße. Seine Zweifel wuchsen, glücklich aus der Stadt herauszukommen, als er an den weißen, kirchensauberen Häusern dieser Straße hinaufsah. Er ging in die Anlagen hinein, über zwei mit Kieseln bestreute Wege. Er erblickte Männer in Arbeitskitteln, damit beschäftigt, Hecken zu stutzen. Er näherte sich dem Stadttor, in die klotzige Mauer hineingehauen,

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