Der Kraehenturm
langsam beruhigte sich sein Atem. Mit jedem Schweißtropfen drang der Alkohol aus seinem Blut, und ihm wurde bewusst, was er getan hatte.
Verdammt, muss ich sie jetzt etwa heiraten? Er blickte auf ihr gerötetes Gesicht. Es gäbe wahrlich Schlimmeres. Zumindest für ihn. Für sie vermutlich nicht, immerhin war er kein Mensch mehr, sondern ein halber Strigoi. Er beschloss, es erst mal nicht anzusprechen. Es war ja nur in ihrem Interesse, versuchte er sich einzureden.
Mit kundigen Fingern strich Julie über seinen Körper und entfachte seine Leidenschaft erneut. Nachdem sie sich diesmal ausgiebiger geliebt hatten, zog Icherios sich an und verabschiedete sich. Mit dem Schwinden des Alkohols waren die Erinnerungen an die Prüfung am nächsten Tag und die fälligen Strafarbeiten zurückgekehrt.
Mit klopfendem Herzen rannte er durch Heidelbergs enge Gassen zum Magistratum. Während er sich durch die Eingangstüren kämpfte, verfluchte er jede einzelne.
In seinem Zimmer begrüßte ihn Maleficium stürmisch und verspeiste gierig eine große Portion Trockenfleisch. Icherios würde nichts anderes übrigbleiben, als die Ratte, verborgen in einer Tasche, mit zu den Vorlesungen zu nehmen. Er fühlte sich schändlich, seinen kleinen Gefährten so lange alleine gelassen zu haben.
Dann setzte er sich in einen Sessel und versuchte, seine Aufzeichnungen auswendig zu lernen. Er wusste, dass der morgige Tag kein guter werden würde, als er kurz vor der Morgendämmerung über seinen Unterlagen einschlief.
8
Die Heiliggeistkirche
G
23. Octobris, Heidelberg
S ilas stand im Schatten eines zweistöckigen Hauses und betrachtete die hoch in den Himmel ragende Heiliggeistkirche. Das im gotischen Stil errichtete Bauwerk mit den barocken Türmen, in denen vier riesige Glocken zum Gebet riefen, weckte ungute Erinnerungen in ihm. Zusammen mit seinem Halbbruder Zacharas hatte er auf Veranlassung seiner Stiefmutter eine Ausbildung zum Priester begonnen, doch die zahlreichen Regeln, Schläge und die offenkundige Heuchelei einiger Geistlicher hatten ihn zur Flucht veranlasst, wodurch er seinen Vater zum ersten Mal enttäuscht hatte.
Unruhig rieb sich Silas die Arme. Die Soutane aus dünnem schwarzem Stoff kratze auf der Haut. Er hatte sich von einem kleinen Händler, der allerlei illegale Dinge unter der Hand tauschte, die Alltagskleidung eines katholischen Geistlichen besorgt. Nun stand er kurz davor, sich als der angekündigte Ersatz für seinen Bruder auszugeben, der bis zu seinem Verschwinden als Diakon in der Heiliggeistkirche gedient hatte. Seine Waffen lagen in dicke Tücher eingewickelt gut verborgen in den Taschen auf Adeles Rücken. Dennoch hatte er das Zimmer im Mäuseschwanz behalten. Es war immer gut, über einen Zufluchtsort zu verfügen. Silas fragte sich, wie lange er die Tarnung aufrechterhalten konnte. Zwar hatte er gemeinsam mit Zacharas in einem Kloster studiert, aber das ihm dort eingebläute Wissen schnell wieder vergessen, als er zum Söldner und Hexenjäger wurde.
Zumindest hatte er in der letzten Nacht einige nette Stunden mit einer hübschen, nicht mehr ganz jungen, dafür aber umso erfahreneren Hure verbracht. Die nächsten Wochen würde er sich allerdings beherrschen müssen, stellte er seufzend fest, während er auf das Gotteshaus zuging.
Durch eine schmale Tür betrat er den Chor der Kirche, der durch eine dicke Mauer, die den Triumphbogen verschloss, vom Schiff abgetrennt war. Der Chor gehörte der katholischen Kirche, während das Schiff von den Reformierten genutzt wurde. Diese eigentümliche Aufteilung der Heiliggeistkirche und der Streit darum waren der Grund, dass der Kurfürst Karl Philipp im Jahr 1720 Heidelberg als Residenzstadt aufgab und nach Mannheim zog. Doch Silas interessierten die politischen Hintergründe wenig. Er wollte nur herausfinden, was mit seinem Bruder geschehen war.
Es war früher Nachmittag und die Kirche leer. Der Chor erstrahlte im Licht unzähliger Kerzen und verlieh den zahlreichen Heiligenbildern einen überirdischen Glanz.
Oswald hatte sich gegen eine kleine Summe bereit erklärt, sich um den tatsächlichen Ersatz für Zacharas zu kümmern und versprochen, dass er ihn am Leben lassen würde. Silas traute ihm nicht ganz über den Weg, aber ein Pfaffe weniger bedeutete in seinen Augen keinen großen Verlust.
Der Hexenjäger war erst wenige Meter in den Chorraum getreten, als ein eifriger Messdiener ihm entgegeneilte. »Ihr müsst Diakon Alois zur Hohenweide sein. Wir haben
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