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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sich an keinem speziellen Ort, sondern ganz einfach in einem leeren Gebäude. Ihrem Verbleib haftete keine metaphorische Logik an, kein kosmischer Kalauer: Es war einfach nur abgelegen genug und leer genug und einfach genug aufzubrechen und von innen an die neuen Erfordernisse anzupassen - Schalldämmung und so - und nach außen abzuschirmen, dass es ausgewählt worden war. Es lag tief im Osten Londons in einer Gegend, die notleidend genug war, dass kaum jemand sich für irgendetwas interessierte. Das Gebäude verfügte über einen tiefen Keller, in dem Dane gefoltert wurde und in dem die Chaosswastikas gedreht wurden. Ganz in der Nähe stand eine Autowerkstatt.
    Die Nazis waren allein und ohne Aufsicht. Eine outgesourcte Ressource. Subunternehmertum war in der Unterwelt so modern wie in den Trümmern des Fordismus. Das Tattoo hatte sie vage angewiesen, weiterzumachen wie bisher und zu versuchen, irgendetwas, irgendeinen Hinweis bezüglich des Verbleibs von Billy und dem Kraken, aus Dane herauszuholen.
    Im Inneren war das Gebäude ausgeschmückt mit Memorabilien des Reiches, garantiert authentisch - bespritzt mit echten Spritzern, Blut, Hirn, Gauleitersaft. In Nischen standen Kerzen neben Symbolen verschiedener Teufeleien, rauchgeschädigten Postern von Nazibands und Lagerbildern. Ganz das, was man erwarten durfte.
    Die Chaosnazis wahrten Haltung, ein Flickwerk faschistischen Stutzertums, nichts als Glitter, Elastan, Leder und Adler. Sie musterten Dane. Er war hinter einem Regal mit verkrustetem Werkzeug festgebunden. Man hatte seine Folterbank gedreht, um ihm ein wenig mehr tumorhaftes Leben einzuhauchen. Immerhin hatte er Augen und Zähne, wenn auch nicht mehr all seine Zähne, und er konnte durch die Nase atmen, auch wenn sie gebrochen war. Sie hatten ihn gerade erst vor ein paar Stunden zurückgeholt und noch nicht wieder angefangen. Er starrte sie an, spuckte und wütete abwechselnd, nur um dann wieder in sich zusammenzusacken, bemüht, sich in sich selbst zu versenken.
    »Schaut mal«, sagte einer. »Seine Lippen bewegen sich. Er betet wieder zu seiner Schnecke.«
    »Dämlicher jüdischer Schneckenabschaum«, sagte ein anderer.
    »Wuuuff«, machte der Hundemann-Nazi.
    »Wo ist Billy, du Abschaum?«
    »Wo ist der Krake?«
    »Dein toter Krake wird dich nicht retten.«
    Sie lachten alle. Sie standen in dem fensterlosen Raum. Sie zögerten. »Blöder Jude«, sagte einer. Und sie lachten wieder.
    Auch Schmerzerfahrung hat Grenzen. Es gibt zwar eine grenzenlose Anzahl an Möglichkeiten, Schmerz auszulösen, aber der Schmerz selbst, der zu Beginn in all seinen Eigenarten klar und ausgeprägt ist, stumpft unausweichlich zu weiter nichts als Schmerz ab. Nicht, dass Dane dem Gedanken an noch mehr Schmerz gleichgültig gegenübergestanden hätte; er zitterte, als sie ihn verhöhnten. Aber es hatte ihn überrascht, dass sie ihn mit ihrer schnittigen Methode zweimal über den Rand des Todes hinausgetrieben hatten und er ihnen immer noch nicht verraten hatte, dass er wusste, wo der Krake war, oder zumindest wer ihn hatte oder wo Billy sein könnte. Letzteres wusste er selbst nicht so genau, aber er hätte ihnen Hinweise liefern können, und das hatte er nicht getan, und folglich waren sie nun ratlos.
    Dennoch war Dane beständig den Tränen nahe. Und beständig betete er.
    »Du kannst aufhören zu wimmern«, sagte einer der Nazis. »Du bist allein. Niemand weiß, dass du hier bist. Niemand kann dir helfen. Niemand kommt, um dich zu retten.«
    Hatte die See auf diesen Moment gewartet? Hatte ein Sinn für Theatralik sie hergeführt und veranlasst, in den Rohren zu verweilen, die das Haus durchzogen, die alle Häuser durchzogen, und auf so eine Aussage zu lauschen, nur um sie zu widerlegen? Was immer: Die Sterne standen gut, alles kam zu diesem perfekten Augenblick zusammen, und gerade, als wollte es eine Antwort erteilen, sprengte Salzwasser jede Rohrleitung im Haus und das Gebäude blutete Seewasser.
    Salzwasser plätscherte in den Wänden, wölbte den Boden hoch. Liebevoll vergoldeter Schnickschnack aus dem zweiten Weltkrieg kleckerte in neu entstandene Löcher.
    Die Nazis zerstreuten sich, rannten und wussten nicht wohin. Dane brüllte wortlos. Zorn, Freude, Hoffnung und Aggression. Wasser verschlang die Nazis; Seewasser, eisig kalt und voller Londoner Schlamm, zog und zerrte an ihnen, riss sie hinab in seine Strudel, in seinen Sog, den es aus dem weiten Meer mitgebracht hatte. Ein paar erreichten die Treppe, aber mehr als

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