Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
Kanalisation nicht erreicht. Fette Ströme folgen unterirdisch Menschen, spülen unaufhörlich schmutzigen Scheißeregen aus. Ein sanftes Gefälle verbindet all diese Rohre mit dem Meer, und entlang dieser Rohre trotzte das Meer aller Gravitation und der ausdünstenden Strömung. Es schickte seine eigenen Fasern, seine eigenen sensorischen Salzwasserströme, die die Kanäle unter der Stadt kitzeln, die lauschen und am Ziegelgemäuer lecken sollten. Eineinhalb Tage lang gab es ein geheimes Meer unter London, fraktal verteilt auf all die Tunnels.
    Rohre füllten sich mit Salzwasser, das die Bewohner der Gebäude ausspionierte, das beobachtete, lauschte und jagte. Die Wahrnehmung der Londonmantiker mochte durch den Einfluss verräterischer Bezirke oder ausreichend starker streikbrechender Flüche beeinträchtigt werden, doch vor einer wissbegierigen See konnte sich nichts verstecken.
    Billy wartete, allein, auf das regelmäßige Erscheinen eines besorgten Wati, der kam und ging, rein in die Puppe und wieder raus zu den Frontlinien seiner Streiks.
    »Ich habe getan, was die See gefordert hat.« Mit diesen Worten verabschiedete sich Sellar an irgendeinem tiefen, dunklen Punkt in der Nacht, und mit einem raschen, scheuen Schlenker machte er sich auf, um zu seinen Träumen von einer nassen Apokalypse zurückzukehren. Aber, dachte Billy, sie kommt mit Feuer, nicht mit Wasser. Ich glaube, das wird dir nicht gefallen.
    Sein Telefon klingelte, und er ging sofort dran. Er sagte nichts, lauschte nur. Kurz herrschte Schweigen, ehe eine Stimme fragte: »Billy?« Er erkannte, dass es nicht Jason war. Billy unterbrach die Verbindung und fluchte. Sie hatten das proletarische Chamäleon. Es hatte versagt.
    Er stand im Vorgarten der Meeresbotschaft - es war dunkel, seine Kleidung war dunkel, kein Licht spiegelte sich in seiner Brille, und er wusste, er konnte handeln, ohne gesehen zu werden - und er warf das Telefon so kraftvoll er nur konnte, was inzwischen äußerst kraftvoll war, in die Finsternis über den Dächern. Er hörte es nicht aufschlagen. Zu guter Letzt hörte er, als er auf den Stufen vor dem Haus kauerte, Wasser durch die Rohre unter seinen Füßen spülen. Eine weitere Flasche wurde durch den Briefschlitz geschoben.
    Die See verriet ihm, wo die Chaosnazis waren. Sie erklärte, dies sei der Punkt, an dem ihre Hilfe ende. Sie würde sich nicht einmischen, würde keine Position beziehen. Sie würde ihre Wasser noch vor Tagesanbruch zurückziehen. Billy beugte sich auf den Knien vor und legte die Stirn an die Tür.
    »Hör mir zu«, sagte er. »Hör mir eine Minute zu. Du kannst da nicht rein, richtig, Wati?«, fragte Billy.
    »Keine Figuren im Hause.«
    »Hör zu, See«, sagte Billy. »Sieh her, See.« Er lächelte müde. »Genau das hat uns dorthin geführt, wo wir jetzt sind. Leute, die neutral bleiben wollten.« Er fühlte etwas wie Anerkennung. Ihm war, als erinnere er sich daran. Als wäre er nur Tage zuvor oder Nächte zuvor in der See gewesen, ja, Nächte, in der Tat, in den Nächten, in denen er diese Tintenträume geträumt hatte. Er legte die Hand an die Tür. Er kannte diesen Ort.
    »In welcher Hinsicht willst du neutral bleiben? Du willst dich von einem Krieg fernhalten. Es hieße aber nicht, du gegen London - das ist nicht das, womit wir es zu tun haben. Also, was ist es dann? Chaosnazis? Das glaube ich nicht. Das Tattoo? Kann ein Gangsterboss dir wirklich Angst machen?«
    Ach, Schluss damit! Welche Wirkung sollte diese Art belangloser Psychologie auf den Ozean haben? Wer nicht wagt, dachte Billy. Wer nicht wagt. Aber was blieb ihm sonst? Zwei Waffen, die er nicht verstand, und ein polyphysischer Gewerkschafter. Und aus der Botschaft kam nichts außer Schweigen.
    »Also, worum geht es? Protokoll? Feinheiten? Na schön, ich tue es, ich werde betteln.« Billy kauerte bereits auf den Knien. »Bitte. Was wäre denn, wenn du irgendein Kräftegleichgewicht durcheinanderbringen würdest? Was soll's? Du weißt, was kommt. Das Feuer und das Ende von allem. Ich wette, dieses Feuer verbrennt auch Meerwasser. Aber weißt du, Dane bringt das wieder in Ordnung. Wenn du also nicht willst, dass alles verbrennt, wenn du nicht willst, dass London brennt, wenn du nicht willst, dass sogar das Meer brennt ... hilf mir.«
    »Wissen Sie, was jetzt passiert?«, fragte Collingswood. Jason Smyle keuchte. Ein paar kosmetische Tricks, ein wenig widernatürliche dermatologische Intervention, und seine Haut sah so gut wie unberührt aus,

Weitere Kostenlose Bücher