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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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nur einer wurde von einer irregeleiteten Woge von den Beinen gerissen und brutal heruntergedrückt, um, verblüffenderweise, in ein paar Zoll Wasser mitten in der Stadt zu ertrinken.
    Das Wasser erreichte Danes Kinn. Er fragte sich, ob es auch ihn töten würde. Ihm wurde bewusst, dass er das nicht wollte, er wollte nicht sterben. Krake, lass mich atmen.
    Die Nazis, die die Stufen hinaufliefen, wurden empfangen. Billys Phaser mähte sie nieder. Dieses Mal war er nicht auf Betäubung eingestellt. Billy stieg hinunter und schoss bei jedem Schritt. Er schickte einen Strahl, heiß wie ein Schüreisen, in das Fell des Hitler verehrenden Hundemannes. Als er sich in der Folterkammer um die eigene Achse drehte, knurrte Billy wie ein gottverdammtes Tier und schoss viele Male, während die See tobte und den Nazitand von den Wänden schmetterte und versenkte, als wollte sie ihn auf den Grund der Welt befördern.
    »Dane«, rief er. »Dane, Dane, Dane.« Er kniete in der Dünung. Dane keuchte und lächelte. Billy näherte sich seinen Fesseln mit einer Eisensäge. »Du lebst«, sagte Billy. »Du bist in Ordnung. Wir sind rechtzeitig gekommen. Ehe sie dir etwas tun konnten.«
    Und da lachte Dane tatsächlich, während er sich von seiner krummen, strahlenförmigen Arretierung befreite.
    »Nein, Kumpel«, flüsterte er. »Du bist zu spät gekommen. Zweimal. Aber was soll's, was?« Er lachte wieder, und das war schlimm. »Aber was soll's. Schön, dich zu sehen, Mann.« Er stützte sich auf Billy, als wäre er viel schlimmer verwundet, als es aussah, und Billy war verwirrt.
    »Sie blockieren den Weg nach draußen«, warnte Billy. Nazis aus anderen Räumen hatten sich oben an der Treppe versammelt und feuerten mit Waffen aus dem Dritten Reich in den Keller hinab. »Hier.« Billy gab Dane seine Waffe. Dane richtete sich etwas weiter auf. »Bist du da, Dane?«, fragte Billy. Dane tat etwas, zielte, feuerte die Stufen hinauf. Da oben wartete ein ganzer Haufen Nazis.
    »Ich bin bei dir«, sagte er und sah die Waffe an. Seine Stimme war noch heiser, näherte sich aber wieder einem ansatzweise normalen Klang. »Funktioniert gut.«
    »Da können wir nicht raus«, sagte Billy.
    Wie zur Antwort, gewiss zur Antwort, brandete die See noch einmal auf und zog sich schnell zurück, so schnell, dass sie einen großen Teil des Bodenbelags mitriss. Zurück blieb ein Loch in der Mitte des Raums, ein schmieriger, glitschiger Hohlraum, so groß wie ein ganzes Zimmer, umgeben von Rohrleitungsstummeln und ruiniertem Mauerwerk. Die See zog sich gewaltsam zurück, und als sie das tat, riss sie eine Kluft in den Boden und strömte aus dem Loch in ein kaum genutztes Ende eines Entwässerungskanals oder einen Flusslauf, der in ein Labyrinth führte.
    »Kannst du?«, fragte Billy und stützte Dane. Dane nickte. Sie versteiften sich, rasten hinab, stürzten sich in eine kalte, gefährliche Rutschfahrt in dem Schlamm und dem abfließenden Seewasser und landeten in einer Höhle.
    Vorbei an dem schlammüberzogenen Mauerwerk und an Rohren, die wie Finger hervorstachen, blickten sie hoch und sahen jenseits der schmutzigen Wasserkaskaden den schäbigen Raum, in dem sich Gesichter über den Rand des Abgrunds schoben. Billy und Dane feuerten Salven ab, Geschrei und klatschende Geräusche begleiteten verzerrte Gesichtszüge, die außer Sicht verschwanden. In der Sekunde der Stille, die nun eintrat, rannten sie in den Schlamm und von dort aus, feucht glänzend wie nagelneue Lehmgolems, in die dunklen Tunnels unter London.

TEIL FÜNF
    AUFSTIEG IN DEN ABSTIEG

55
    Es war schon sehr spät. Seit Jason das letzte Mal befragt oder geprügelt worden war, war einige Zeit vergangen. Dann und wann hatte Collingswood ihn noch mal in seiner Zelle besucht, zu einer albtraumhaften Wiederholung ihrer Fragen, aber auch sie hatte er schon seit Stunden nicht mehr gesehen.
    Essen und Getränke wurden durch eine kleine Öffnung zu ihm hereingeschoben. Er brüllte seine Bitte um ein Telefon hinaus, um Aufmerksamkeit, um Schinkensandwichs, doch er erhielt nie eine Antwort. In einer Ecke der Zelle stand eine Chemietoilette, doch er hatte längst aufgegeben, damit zu drohen, Amnesty International darüber zu informieren. Ohne Collingswood oder irgendeinen anderen Realitätsschmied in seiner Umgebung, der seine Kunsterei hätte mildern können, glaubten seine Kerkermeister ihn zu kennen, wussten, dass sie ihn kannten, und in Anbetracht dessen, dass er - immerhin saß er in einer Zelle - kein

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