Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
nicht, also dachte die Ärztin, Paul wäre lediglich ein verwirrter Trunkenbold, dem das scheußliche Bild nicht mehr zusagte. Es gäbe eine lange Warteliste, sagte sie zu ihm. Für kosmetische Eingriffe.
    Paul versuchte es mit Sandpapier in Heimarbeit, aber das endete jedes Mal in einem Fehlschlag, und wenn Paul vor Schmerzen schrie, schrie das Tattoo mit ihm. Es trieb ihn zurück in das Tätowierstudio, doch dessen Eigner war längst verschwunden.
    Er deckte es ab, doch das hielt nie lange. Und wenn die Knebel fielen, dann brüllte ihn das Tattoo an, verfluchte und verhöhnte ihn selbst auf offener Straße. Es schrie schmutzige Verunglimpfungen in die Welt hinaus, Kraftausdrücke und rassistische Beschimpfungen und gab sich, bisweilen erfolgreich, alle Mühe, Paul eine kräftige Abreibung einzuhandeln. »Jetzt gib einfach Ruhe«, flüsterte es ihm anschließend zu. »Sei still und tu, was ich dir sage, und so etwas muss nie wieder passieren.«
    Es schickte ihn in billige Magierkneipen. Es verschaffte ihm Kontakte, flüsterte ihm die Codeworte zu, die nötig waren, um Einlass zu erlangen, ließ sich von ihm in gedämpftem Ton die Kundschaft beschreiben oder forderte ihn auf, sich umzudrehen, damit das Tattoo durch sein dünnes Hemd schauen und selbst nachsehen konnte, wer da war, um Paul zu denjenigen zu dirigieren, die es kannte.
    »Borch«, sagte es beispielsweise, wenn sich Paul rücklings gegenüber einem erschrockenen Gauner an einen Tisch setzte. »Ken.« »Daria.« »Goss.« »Ich bin's, seht her, ich bin es wirklich.«
    Grisamentum hatte gewiss beabsichtigt, es in dieses mobile Hautgefängnis zu verbannen, in dem es hilflos wäre und von einem Gastgeber mitgeschleppt würde, der es hasste, während es selbst unter seiner Körperlosigkeit litt, bis sein schwächelnder Träger stürbe. Aber das Tattoo schickte Paul los, um seine Komplizen aufzuspüren. Es versammelte sie erneut in seinem Orbit. Es schickte Paul zu diversen Geldverstecken und nutzte das Geld, um sich die Dienste von Magiern und Unterweltexperten zu sichern. Das Tattoo hatte nur noch seine Stimme und seinen Verstand, aber das reichte ihm, um sein Reich wieder aufzubauen.
    Zu den ersten Problemen, derer es sich annahm, während es auf Pauls Leib festsaß, gehörte es, den Tätowierer, der ihn eingefangen hatte, aufzuspüren und zu exekutieren. Paul sah es nicht - er hatte dem Gemetzel logischerweise den Rücken zukehren müssen - aber er konnte es hören. Es ging nicht schnell und auch nicht leise vonstatten. Paul schüttelte sich, als Blut an die Rückseite seiner Beine spritzte, während er von den ersten Gefolgsleuten, die das Tattoo in Faustmänner verwandelt hatte, festgehalten wurde.
    Das Tattoo wollte Paul einfach ignorieren. Es ließ ihn essen, wann er wollte, lesen, DVDs mit Kopfhörern genießen, während das Tattoo seinen Geschäften nachging. Paul hätte sogar freie Abende haben können, Ausflüge ins Kino, Sex. Aber nach seinem ersten Fluchtversuch verhärteten sich die Fronten. Nach dem zweiten warnte ihn das Tattoo, dass ein weiterer Versuch zu einer Beinamputation führen würde, wobei die Frage nach der Anästhesie vorerst noch offenbliebe.
    Das Tattoo schmiedete Rachepläne. Aber noch während es Bewerbungsgespräche mit Attentätern führte, kamen ihm Geschichten zu Ohren: Grisamentum war ganz ohne sein Zutun gestorben.
    »Warum will das Tattoo den Kraken?«, fragte Fitch. Paul starrte den eingemachten Gott an.
    »Das weiß es selbst nicht«, sagte er. »Es hat nur erkannt, dass jemand anderes ihn will, also will es demjenigen zuvorkommen.« Paul zuckte mit den Schultern. »Das ist alles. Das ist schon der ganze Plan: ›Er darf niemandem anderen in die Hände fallen.‹ Es könnte ihn ebenso gut verbrennen ...« Paul ging nicht auf die Blicke ein, die diese Worte hervorlockten. »Ich weiß, wer ihr seid.« Er wandte sich an Billy und Dane. »Ich habe alles gehört, was er gesagt hat.«
    »Passt auf«, sagte Billy zu Fitch. »Wir sind hier. Wir haben ihn. Wir schützen ihn. Wir werden nicht zulassen, dass jemand ihn verbrennt, und das ist es, was erst alles auslösen soll. Und jetzt haben wir auch noch einen der großen Fische in unserer Gewalt. Dieses ganze ... Feuer ... das sollte jetzt doch etwas weniger wahrscheinlich sein, oder?« Die Londonmantiker hatten der Zukunft verzweifelt nachgestellt. Fitch riss bei jedem kurzen Halt das Straßenpflaster auf; hastige ambulomantische Schritte wurden unternommen, um herauszufinden,

Weitere Kostenlose Bücher