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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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in all den Geschichten, eine Verknüpfung, die ihr den Glauben ließ, sie hätte es auch jetzt, in dieser Phase trügerischer Ruhe vor dem Ende aller Zeiten, noch drauf, und die betraf die Waffenwirte. Die sie im Geiste nun offiziell aus dem Bereich purer Gerüchte in die Realität erhoben hatte. Und wenn sie in dieser schrecklichen Zeit darum rang, ihren Stolz zu bewahren, rief sie sich gerne in Erinnerung, dass sie die Waffenwirte schon im Blick gehabt hatte, bevor alle Hinweise sie erreicht hatten und in ihrer Intuition zur kritischen Masse gereift waren, woraufhin sie plötzlich nicht nur gewusst hatte, dass die Waffenwirte einen Angriff planten, sondern auch, wo.
    Heilige Scheiße, was? Warum? Das musste warten. Trotzdem, Collingswood konnte das eigene Denken nicht abstellen. Wenn die nun ins Visier geraten, dann müssen sie ihn gestohlen haben. Was bedeutete, dass das FSRC noch weniger wusste, als sie alle zu wissen glaubten.
    »Boss. Boss. Maul halten und zuhören.«
    »Wo sind Sie, Collingswood? Wo waren Sie? Wir müssen uns über ...«
    »Boss. Still. Wir müssen uns sehen.«
    Sie schüttelte den Kopf. Die urplötzlich erwachte Klarheit, mit der sie deren Absichten erkannte, überraschte sie. Sie wusste, dass sie gut war, aber dass sie so ein Wissen haben konnte? Sie verstecken sich nicht länger. Es ist ihnen nicht mehr wichtig.
    »Sehen? Wo? Warum?«
    »Weil uns ein beschissen großer Angriff bevorsteht, also bringen Sie Verstärkung mit. Bringen Sie Kanonen mit.«
    Konnte es der Aufmerksamkeit des okkulten London entgehen, dass in dieser Nacht, in der die minimalistischen Apokalypsen konkurriert und zugleich einen Keil in die Stadt getrieben hatten, Fitch und sein londonmantischer Kader aus der direkten Umgebung des London Stone verschwunden waren? Konnte das ignoriert werden?
    »Wir leben von geliehener Zeit«, sagte Saira. Nichts konnte von Dauer sein. Jene unter den Londonmantikern, die noch dazu in der Lage waren, zergliederten in der Sicherheit ihres Lkws die Zukunft nachgerade obsessiv - oder, so ermahnten sie sich wieder und wieder, die möglichen Verläufe der Zukunft. Ihr Job war so einfach wie überschaubar geworden: Halte den Kraken von Ärger fern, bis, während und nach dem letzten Tag. Auf dass er dafür sorge, dass dieser letzte Tag eben nicht stattfinde. Das war alles, was sie als ihre Aufgabe in dieser Zeit erkennen konnten. Eine neue, heilige Pflicht.
    »Da war wieder eine.«
    »Und noch zwei.« In qualvollen Traum- und Erinnerungsdeutungen spürten die Londonmantiker der Geschichte der Stadt nach und den brandartigen Blasen in ihrer Zeitachse. Sie protokollierten diese neuen, sonderbaren Symptome, diese architektonischen, temporalen Brandstiftungsopfer. »Erinnert ihr euch an die alte Werkstatt, draußen bei den Gaswerken? Diese echt coole Art-deco-Werkstatt?«
    »Nein.«
    »Tja, das ist das Problem, sie war eben nie mehr da, aber schaut mal.« Und da war eine erhalten gebliebene Postkarte von dem Gebäude, rußgeschwärzt und irgendwie instabil, die tapfer um die eigene Existenz kämpfte, darum, nicht in der brandgeschädigten Zeitachse zu ersticken.
    Wati war stundenlang fort, dann einen ganzen Tag. Er reagierte auf kein Geflüster in Gegenwart von Figuren, die ihm als Vehikel bereitgestellt werden sollten. Verhandelte er über einen Rückzug, eine Kapitulation?
    Paul hielten sie bei Laune. Nahrung war kein Problem, Sie musste nur kurz innehalten, dann konnte Saira die Hände in die Gemäuer einer Gassenecke graben, konnte sie kneten wie Ton, und die Mauerziegel verwandelten sich in die Grundlage, aus der sie bald einen Schlüsselring mit Schlüsseln und schließlich eine Tüte Fraß zum Mitnehmen formte.
    Zweimal nahmen sie das Klebeband über dem Mund des Tattoos ab in der grundlosen Hoffnung, es würde irgendetwas Belastendes oder Hilfreiches oder Erhellendes von sich geben. In Gegenwart dieses böswilligen Akteurs sollte endlich alles klar werden und genau das wurde es nicht. Das Tattoo schwieg, was ganz und gar nicht zu ihm passte. Aber ein gewisser, schmollender Zug in den Linien des Tintengesichts legte die Vermutung nahe, dass es keineswegs entzückt war.
    »Er hat immer noch seine Truppe da draußen«, sagte Paul. Verzweifelte kleine Rückzugsgefechte. Armleuchter, halb in Angriffs- halb in Abwehrhaltung gegenüber traditionellen Feinden, gezwungen, eigenständig zu handeln, mithin exakt das zu tun, was sie so angestrengt zu vermeiden gesucht hatten. Gedankenlos offenbarte

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