Der Krake
noch immer die Tatsache, dass er überhaupt irgendwo war, irgendwoanders als im Himmel oder der Hölle, aber auf keinen Fall konnte das Eingreifen Byrnes und ihrer Monsterherden, konnte dieser ganze schreckliche, gekunstete Bandenkrieg, einfach so aus dem Nichts gekommen sein. London wusste, wer zurück war. Es wusste nur nicht wo, warum oder wie, und selbst den verräterischsten und bestechlichsten Straßenzügen der Stadt, ihren Gaunern und Weltuntergangsfürbittern vermochte kein noch so gutes Zureden irgendetwas zu entlocken.
»Was hätten wir denn deiner Meinung nach tun sollen?«, fragte Dane Saira.
»Wir haben nicht viel Zeit«, fügte Billy hinzu.
»Es kommt«, sagte Fitch. »Es ist plötzlich viel näher. Viel sicherer. Etwas ist passiert, was es ... näher gebracht hat.«
»Wir haben das Tattoo«, sagte Billy. »Ist dir das nicht klar?«
»Wir mussten diesen armen Teufel so schnell wie möglich von der Straße schaffen«, erklärte Dane.
Paul saß still da und sah all die anderen an, betrachtete durch das Glas den Kraken in seiner stinkenden Flüssigkeit.
»Zeigt ihm das nicht«, flüsterte er. Sie blickten ihn scharf an. Er wackelte mit den Schultern, um deutlich zu machen, von wem er sprach.
»Niemand wird ihm irgendwas zeigen«, sagte Billy vorsichtig. »Versprochen.«
»Wir haben ihn aufgehalten«, flüsterte Dane Saira und Fitch zu. »Jetzt können wir seine Pläne aufdecken.«
»Seine Pläne?«, fragte Saira.
»Er hat versucht, den Kraken in seine Gewalt zu bekommen.« Billy tippte Paul sacht auf den Rücken.
»Oh, aber das ist ... schaut«, sagte Saira. »Was immer es ist ... es geschieht bereits!« Sie wischte sich allen Ernstes die Stirn mit dem wer weiß wie kostspieligen Schal, den sie trug. »Das Brennen hat begonnen.« In den letzten zwei Tagen waren zwei Kleinbetriebe verloren gegangen. Abgebrannt, Akte außergewöhnlicher Brandstiftung. Selbstannullierend. Die Erinnerung an die zerstörten Gebäude war beinahe, nicht ganz, aber beinahe genauso untergegangen wie die Gebäude selbst.
Eines hatte zum Herrschaftsgebiet des Tattoos gehört, ein Kebabladen in Balham, der zugleich eine lukrative Quelle für Drogengelder darstellte, einen Ort, an dem Destillate von dritten Augen gewonnen wurden, die man den Verzweifelten entnommen und abgekauft hatte. Das andere, ein mittelgroßer Juwelier in Bloomsbury, stand historisch mit Grisamentum in Verbindung. Beide waren fort, und gemäß den meisten Erinnerungsbemühungen hatte es, so sagte Saira, keinen der beiden Orte je gegeben.
»Erinnerst du dich an sie, Dane?«, fragte Saira.
»Nein.«
»Tja.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Du tust es nicht.« Der Laster tat einen Schlenker, und sie passte sich der Bewegung an, während Fitch mit wirrem Bart- und Haupthaar stolperte. »Du genauso wenig wie alle anderen.«
»Und wie kannst du dann wissen, dass da mal irgendwas war?«, fragte Billy, und sie stierte ihn an.
»Hallo?«, sagte sie. »Vielleicht sind wir uns noch nicht vorgestellt worden. Hi. Mein Name ist Saira Mukhopadhyay. Ich bin Londonmantikerin. London ist mein Job.«
»Du erinnerst dich an sie?«, hakte Billy nach.
»Das tue ich nicht, aber die Stadt erinnert sich. Ein wenig. Sie weiß, dass etwas im Busch ist. Die Verbrennung ist nicht perfekt. Die ... die Haut wirft gewissermaßen Falten. Ich erinnere mich daran, mich an eines der Häuser erinnert zu haben. Aber sie waren nie da. Wir haben die Archive überprüft. Nie da gewesen. Ein Feuerwehrwagen ist an dem Tag herumgeschlichen, an dem Grisamentums Laden gebrannt haben muss. Die Feuerwehrleute sind einfach nur rumgefahren und wussten nicht, warum sie hätten dort sein sollen.«
»Das ist Coles Werk. Es muss Coles Werk sein.« Dane redete gedehnt. »Wer bringt ihn dazu ... Wo ist dieser Zettel? Der, der in dem Buch war?« Billy gab ihm den Zettel. »Hier. ›Katachronophlogiston‹. Da, seht es euch an.«
»Zeug direkt aus der Zeit brennen«, sagte Billy. »Genau. Also, wer und warum?«
»Er könnte es wissen. Er weiß mehr als wir.« Saira starrte Paul an und zeigte auf seinen Rücken. Eine lange, unglückselige Pause trat ein. »Er könnte etwas über Cole wissen. Vielleicht weiß er nicht mal, dass er etwas weiß.« Sie warteten. Sie zögerten. Sie versuchten, sich irgendwelche trickreichen Fragen einfallen zu lassen.
Da ergriff Paul das Wort. »Nicht«, sagte er. »Er wird nicht ... Ich kann es euch erzählen.« Er war so leise, dass sie glaubten, sie
Weitere Kostenlose Bücher