Der Krake
hätten sich verhört, bis er es noch einmal sagte. »Ich kann es euch erzählen. Warum er ihn will. Was er mit ihm vorhat. Ich kann euch alles erzählen.«
»Es war ein Tätowierer in Brixton«, berichtete er. »Ich bin hingegangen, weil ich ein großes, na ja, ihr wisst schon, so ein keltisches Kreuz haben wollte, aber nicht nur in Schwarz und Weiß - ich wollte auch Grüntöne und so was, und das dauert dann Stunden. Ich habe so was schon immer am liebsten in einem Rutsch hinter mich gebracht - ich kann gar nicht begreifen, wie man sich dutzendweise Sitzungen antun kann. Bei mir heißt es ganz oder gar nicht; so war das schon immer.« Niemand unterbrach ihn. Jemand brachte ihm etwas zu trinken, und er trank, ohne seinen Blick auf etwas anderes als das Nichts zu richten, in das er starrte.
»Ich wusste, es würde wehtun, aber ich habe mich einfach betrunken, obwohl man das nicht tun sollte. Ich war schon früher bei diesem Tätowierer, und wir hatten uns unterhalten, also wusste er ein bisschen über mich. Über die Leute, die ich kannte, darüber, was ich tat, all so ein Zeug, wisst ihr? Ich glaube, er selbst hat nur gesagt, was man ihm aufgetragen hat, weil ich annehme, dass er auf der Suche nach passenden Kandidaten war.
Er hat mich gefragt, ob es mir was ausmachen würde, wenn dieser andere Typ dabei wäre, der auch Tätowierer ist, hat er jedenfalls gesagt. Angeblich wollten sie ihre Arbeiten vergleichen. Ich habe gesagt, nein, das macht mir nichts aus, obwohl ich dachte, dass der andere irgendwie nicht wie ein Tätowierer ausgesehen hat. Aber ich wusste nichts damit anzufangen. Ich war zu besoffen, um mir darüber einen Kopf zu machen.
Der Typ hat zugesehen, wie der Tätowierer an mir gearbeitet hat, und er hat ihm Ratschläge gegeben. Er ist immer wieder im Hinterzimmer verschwunden. Ich glaube, wir wissen, was da drin war. Vielleicht sollte ich besser sagen, wer da drin war.« Er lachte furchtbar traurig und unecht. Das war nicht die Geschichte, auf die alle warteten, aber wer hätte ihn unterbrechen wollen?
»Immer wieder haben sie mir meinen Rücken im Spiegel gezeigt. Der Tätowierer hat dabei jedes Mal gekichert, aber der andere Typ nicht, der war ganz ernst. Die müssen irgendwas mit dem Spiegel angestellt haben, denn wenn ich hineingesehen habe, dann war da ein Kreuz, und es hat gut ausgesehen. Ich weiß nicht, wie sie das gemacht haben.
Als ich am zweiten Tag die Verbände abgenommen habe, um es einer Freundin zu zeigen, sagte die: ›Ich dachte, du wolltest ein Kreuz.‹ Ich dachte, es wäre ihr zu verschnörkelt gewesen, darum habe ich es mir gar nicht angesehen. Aber es dauerte nicht lange, nur bis sich der Schorf abgelöst hat, da ist es aufgewacht.«
Grisamentum hatte die optische Gestaltung beaufsichtigt. Und dort, gefangen in diesem Hinterzimmer, war der Mann über die Stunden immer weniger geworden, der später das Tattoo werden sollte. Welch obskurer Anschlag im Bandenmilieu. Kein Mord - auf barocke Art waren diese Männer viel zu grausam für einen schlichten Mord -, sondern ein Bann, eine Art der Gefangenschaft. Vielleicht hatte Blut die Tinte gefärbt. Gewiss war eine Essenz, nennen wir sie Seele, aus dem Mann gesickert und hatte nur noch eine fleischliche Hülle von der Form eines Mannes zurückgelassen.
Paul war von einem Gemurmel erwacht, das von seiner Haut zu kommen schien. Außer ihm war niemand in dem Bett. Und die Stimme hatte gedämpft geklungen.
»Was haben die getan? Was haben die getan?« Das war das Erste, was Paul hörte. »Was haben diese Arschlöcher mit mir gemacht?«
Als er schließlich die Verbände ablegte, war der Zauber verschwunden und Paul sah das echte Tattoo. Zwei Schocks in direkter Folge: Auf seinem Rücken prangte ein Gesicht; und, viel schlimmer - viel, viel schlimmer, viel entsetzlicher, viel niederschmetternder - dieses Gesicht bewegte sich.
Das Gesicht war ebenfalls schockiert. Es dauerte Minuten, bis es begriffen hatte, was ihm widerfahren war. Und es terrorisierte Paul. Es fing an, ihm zu sagen, was er zu tun hatte.
Er hatte nichts gegessen. »Ich brauche dich in guter Verfassung«, hatte die Tätowierung auf seinem Rücken gesagt. »Iss, iss, iss«, bis Paul gegessen hatte. Es zwang ihn, seine Kraft zu demonstrieren, es taxierte ihn wie ein Trainer. Paul sagte ihm, es solle ihn in Ruhe lassen, es sei nicht real. Und natürlich suchte er eine Ärztin auf und erkundigte sich, wie es entfernt werden könne. Da aber rührte sich das Tattoo
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