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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sagte Leon. »Freu dich schon mal auf den Monolog.«
    »Bitte«, erwiderte Billy. »Lass mich raten. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Textes liegt nicht in dem Text selbst, sondern ...« Er runzelte die Stirn. Er begriff nicht, was er da auspackte. In dem Paket war ein Rechteck aus schwarzer Baumwolle.
    »Ich schicke ihr eine Nachricht. Das wird ihr gefallen«, sagte Leon.
    »Oh, Leon, sag ihr nicht, was ich dir erzählt habe«, bat Billy. »Ich habe so oder so schon mehr gesagt, als ich hätte sollen ...« Er stocherte in dem Stoff herum.
    Das Päckchen bewegte sich.
    » Verdammt ...«
    »Was? Was? Was?«
    Beide sprangen auf. Billy starrte das Päckchen an, das nun regungslos dort auf dem Tisch lag, wo er es hatte fallen lassen. Es herrschte Stille. Billy zog einen Stift aus der Tasche und bohrte ihn vorsichtig in den Stoff.
    Der Stoff gab nach. Das Päckchen öffnete sich.
    Es erblühte. Mit einem leisen Keuchen zog es sich zusammen wie eine Ziehharmonika, dehnte sich gleich darauf, schnippte auseinander, füllte sich, und das, was am Ende herausragte, war eine Hand. Ein Männerarm in einem dunklen Jackenärmel, unter dem ein weißes Hemd hervorblitzte. Die Hand packte Billy am Hals.
    »Jesus Christus ...« Leon zog Billy weg, und das immer noch zugreifende Paket zog ihn zurück, obwohl es keinerlei Halt hatte.
    Billy war gefangen, und das Paket breitete sich weiter aus. Baumwollzungen öffneten sich flatternd, Schwarz und Blau, und Schuhe am Ende von Gliedern wölbten sich ins Sein, als würde sich ihre Substanz aus einer Umklammerung lösen. Mehr Arme wickelten sich ab, unbeholfen wie Feuerwehrschläuche. Sie stießen Leon brutal zurück.
    Wie Pflanzen in einem Zeitrafferfilm, mit Ächzern der Erleichterung, gefolgt von einem schalen Geruch nach Schweiß und Darmgasen, standen plötzlich ein Mann und ein Junge auf Billys Tisch. Der Junge starrte Leon an, der Anstalten machte, sich wieder auf die Beine zu stemmen. Der Mann umklammerte immer noch Billys Kehle.
    »Ich werd nich' mehr!«, fluchte der Mann und sprang vom Tisch, ohne Billy loszulassen. Er war drahtig, trug eine alte Jeans und eine schmutzige Jacke und schüttelte sein langes, ergrauendes Haar aus. »Verdammich, das war fürchterlich.« Er sah Leon an. »Was?«, brüllte er, als hoffte er auf Mitgefühl.
    Der Junge kletterte langsam auf einen Stuhl und dann zu Boden. Er trug einen sauberen, überdimensionierten Anzug: einen richtigen Sonntagsstaat. »Komm her, Junge.« Der Mann befeuchtete die Finger seiner freien Hand mit Spucke und strich dem Jungen durch das in Unordnung geratene Haar.
    Billy bekam keine Luft. Dunkelheit umfasste ihn. Der Mann schleuderte ihn gegen die Wand.
    »Also gut.« Der Mann zeigte auf Leon, der erstarrte, als hätte der Fingerzeig ihn eingefroren. »Pass auf ihn auf, Subby. Beobachte ihn wie ein kleiner Grimbart bei Nacht.« Er zeigte mit zwei Fingern auf seine eigenen Augen und dann auf Leon. »Wenn er sich rührt, zeig's ihm. Also gut.« Der Junge starrte Leon aus viel zu stark geweiteten Augen an.
    »Ja«, sagte der Mann und schnüffelte am Türrahmen. »Sie ist nicht übel. Gute Idee, das, wenn ich das in meinem kindlichen Gemüt mal so sagen darf. Was wir hier aber erfreulicherweise nicht haben, ist eine Ausgangsverweigerung. Und da wir nun schon drin sind, hindert uns nichts daran, wieder rauszugehen.« Er beugte sich näher an Billy heran. »Ich sage, uns hindert nichts daran, wieder rauszugehen. Daran hast du wohl nicht gedacht, was? Du bösartiges kleines Ding.«
    Billy gab ein Krächzen aus tiefster Kehle von sich. Der Mann legte einen Finger an die Lippen und sah sich erwartungsvoll zu dem Jungen um, der seinem Beispiel langsam folgte und Billy ebenfalls bedeutete, er möge still sein.
    »Goss und Subby sind wieder da«, sagte der Mann. Er streckte die Zunge vor und kostete die Luft. Dann legte er die Hand über Billys Mund, und Billy plapperte in die kühle Handfläche. Der Mann ging von Zimmer zu Zimmer, schleifte Billy mit sich und leckte an Boden, Wänden und Lichtschaltern. Er zog seine Zunge über den Bildschirm des Fernsehgeräts und hinterließ eine Speichelspur im Staub.
    »Was-was-was für Museumsstücke hast du hier, Lepidopterologe?«, fragte er die Bücherregale. Er zog Bücher aus dem Regal und ließ sie fallen. »Näh«, sagte er. »Ich schmecke nüscht als Scheiße daran.«
    Plötzlich war Leon auf den Beinen und rannte auf ihn zu. Der Mann machte hopsala, und Leon lag am Boden. »Und wer

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