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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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herumtollte, ganz in der Nähe des Ufers, an dem Fischer das Geschehen beobachteten. Eine halb abstrakte Darstellung, eine Verflechtung rohrartiger brauner Zacken, ein Nest voller keilförmiger Objekte.
    »Das ist Braque«, sagte jemand hinter ihm. »Was haben Sie geträumt?«
    Billy drehte sich um. Dane war da, die Arme vor der Brust verschränkt. Vor ihm stand der Mann, der gesprochen hatte. Er war in den Sechzigern, hatte weißes Haar und einen sauber gestutzten Vollbart. Er war der Inbegriff eines Priesters. Der Mann trug eine lange schwarze Robe mit weißem Kragen, die lediglich etwas abgenutzt wirkte. Die Hände hielt er hinter dem Rücken verschränkt. Und er trug eine Kette, an der das Kalmarsymbol baumelte. Zu dritt standen sie in der Stille dieses verschütteten Raums und starrten einander an.
    »Sie haben mich vergiftet«, sagte Billy.
    »Na, na«, machte der Priester. Billy hielt sich an einer Kirchenbank fest und musterte ihn.
    »Sie haben mich vergiftet«, wiederholte er.
    »Sie sind doch hier, oder nicht?«
    »Warum?«, fragte Billy. »Warum bin ich hier? Was ist hier los? Sie schulden mir ... eine Erklärung.«
    »Allerdings«, sagte der Priester. »Und Sie schulden uns Ihr Leben.« Sein Lächeln entwaffnete. »Also stehen wir einander gegenseitig in der Schuld. Schauen Sie, ich weiß, Sie wollen wissen, was passiert ist. Und wir wollen es Ihnen erklären. Glauben Sie mir, Sie müssen das begreifen.« Er achtete sorgsam auf seine Aussprache, dennoch erkannte Billy einen leichten Essex-Akzent.
    »Werden Sie mir erzählen, was das hier alles soll?« Billy sah sich nach einem Ausgang um. »Alles, was ich gestern von Dane erfahren habe ...«
    »Das war ein schlimmer Tag«, sagte der Mann. »Ich hoffe, Sie fühlen sich jetzt besser. Was haben Sie geträumt?« Er rieb sich die Hände.
    »Was haben Sie mir verabreicht?«
    »Tinte, natürlich.«
    »Blödsinn. Von Kalmartinte bekommt man keine Visionen. Das war Acid oder so was ...«
    »Es war Tinte«, sagte der Mann. »Was haben Sie gesehen? Wenn Sie etwas gesehen haben, lag das bei Ihnen. Es tut mir leid, dass wir Sie, gewissermaßen, arg rüde haben untertauchen müssen, aber wir hatten keine Wahl. Die Zeit arbeitet nicht für uns.«
    »Aber warum?«
    »Weil Sie begreifen müssen.« Der Mann starrte ihn an. »Sie müssen sehen. Sie müssen wissen, was los ist. Wir haben Ihnen keine Visionen verschafft, Billy. Was Sie gesehen haben, kam aus Ihnen selbst. Sie können die Dinge klarer sehen als irgendjemand sonst.«
    Der Mann trat näher an das Bild heran. »Ich sagte, das ist ein Braque«, sprach er. »Von 1908. Bertrand Hubert, der einzige französische Teuthex, den wir je hatten, hat ihn mit hinaus auf See genommen. Sie waren vier Tage in der Biskaya. Hubert führte ein spezielles Ritual durch, von dem wir leider keine Aufzeichnungen mehr besitzen, und brachte diesen kleinen Gott ans Tageslicht.
    Er muss ziemlich mächtig gewesen sein. Seit Steenstrup war er der Einzige, der imstande war, mehr als nur ein paar Bilder herauszukitzeln. Die echte ... Fischbrut. Und so wartete der Götterling, während Braque, der offenbar über seine eigenen Füße gestolpert und beinahe über Bord gegangen ist, ihn zeichnete. Als er wieder abtauchte, wedelte er mit einem seiner längeren Fangarme, und Braque sagte ›exactement comme un garçon qui dit »au revoir« aux amis.‹« Er lächelte. »Dummer Kerl. Hatte nicht die Spur einer Ahnung. Das war ›comme‹ nichts in dieser Art. Es hört sich sonderbar an, aber er sagte, das Gewundene dessen, was er sah, hätte ihn dazu gebracht, in Winkeln zu denken. Er sagte, keine gekrümmte Linie könne den Windungen gerecht werden, die er gesehen hatte.«
    Kubismus als Ausdruck des Scheiterns. Billy ging zu einem anderen Bild, eher traditionell figürlich - ein fetter, flach daliegender Riesenkalmar moderte auf einer Felsplatte, umgeben von Beinen in hohen Watstiefeln. Hastige, verwischte Pinselstriche. »Warum haben Sie mich unter Drogen gesetzt?«
    »Das ist Renoir. Das da drüben Constable. Prä-Steenstrup, darum gehört es nach unserem Vokabular in die atramentarische Epoche. Ehe wir der Tintenwolke entstiegen waren.« Die Werke um Billy herum sahen plötzlich aus wie Manets. Wie Piranesis, Bacons, Breughels, Kahlos.
    »Moore ist mein Name«, sagte der Priester. »Es tut mir wirklich sehr leid wegen Ihres Freundes. Ich wünschte zutiefst, wir hätten das verhindern können.«
    »Ich weiß nicht mal, was passiert ist«, sagte

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