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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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würde passieren.
    Begreifen Sie, dass Sie einen Kraken bekommen haben, an dem Sie arbeiten konnten, weil er tosend sich erhoben hat und an der Oberfläche starb?«

17
    Wenn man sich mit Leon einließ, das hatte Marge gleich begriffen, dann nahm man bestimmte Verhaltensweisen besser gleich als selbstverständlich hin. Das war nicht so übel - es schuf Spielraum für eigene Verhaltensweisen, denen man bei anderen Liebhabern nicht hätte nachgeben können, ohne Verstimmungen und böses Blut zu riskieren.
    Beispielsweise konnte Marge ohne Gewissensbisse einen gemeinsamen Abend absagen, wenn sie an etwas arbeitete und es gerade gut lief. »Sorry, Lieber«, hatte sie oft gesagt und sich über die abgestoßene Videoausrüstung gebeugt, die sie vor der Tonne oder vor eBay gerettet hatte. »Ich habe gerade zu tun. Können wir es auf ein andermal verschieben?«
    Wenn Leon das Gleiche tat, empfand sie es bisweilen als ärgerlich, aber häufig ging damit eine gewisse Befriedigung einher, das Wissen, dass dies die Schuldscheine waren, die sie später würde einlösen können. Aus dem gleichen Grund und in dem Wissen, dass sie nicht die Absicht gehegt hatte, monogam zu werden, als sie zusammengekommen waren, verbuchte sie seine gelegentlichen nicht auf sie fokussierten sexuellen Kontakte (die er sich meist deutlich anmerken ließ) als Erleichterung.
    Grundsätzlich hätte sie sich nicht viel dabei gedacht, hätte sie zwei, drei, vier, fünf Tage oder eine Woche nichts von Leon gehört. Das war nicht der Rede wert, nicht mehr, als eine Absage in letzter Minute. Was sie nun aber doch mit Besorgnis erfüllte, was sie nachdenklich machte, war, dass sie eine besondere Abmachung getroffen hatten. Sie waren zu einem James-Bond-Marathon-Gucken verabredet, denn: »Das wird urkomisch«, doch er hatte nicht angerufen, um abzusagen. Er hätte ihr genauso gut irgendwelchen Unsinn per Textnachricht zukommen lassen können, das wäre auch nichts Neues gewesen, aber keine solche Nachricht war eingetroffen. Und nun reagierte er nicht auf ihre Nachrichten.
    Sie schrieb Kurznachrichten, sie schrieb E-Mails. Wo bist du?, schrieb sie. Sags mir, sonst mache ich mir Sorgen. Melde dich, Telefon, Textnachricht, Brieftaube, was immer du willst xx.
    Leons letzte Nachricht hatte sie gelöscht, weil sie diese für irgendeine trunkene Torheit gehalten hatte. Das bereute sie nun natürlich zutiefst. Es war etwas in der Art gewesen wie: Billy sagt, es gibt einen Kalmarkult.
    »Väter und Mütter und gleichgültige Tanten und Onkel in eisiger Dunkelheit, wir beschwören euch.«
    »Wir beschwören euch«, murmelte die Gemeinde zur rechten Zeit als Antwort auf Moores Teuthex-Phrasen.
    »Wir sind eure Zellen und Synapsen, eure Beute und eure Parasiten.«
    »Parasiten.«
    »Und sorgt ihr euch überhaupt um uns, so wissen wir es nicht.«
    »Nicht.«
    Billy saß im hinteren Bereich der Kirche. Er erhob sich nicht mit dem Rest der kleinen Gemeinde, und er murmelte auch keine bedeutungslosen Phoneme, um die Unkenntnis der richtigen Worte höflich zu kaschieren. Es waren nicht einmal zwanzig Personen im Raum. Die meisten weiß, aber nicht alle, die meisten preiswert gekleidet, die meisten in mittleren Jahren oder älter, aber, ein sonderbares demographisches Phänomen, unterwandert von vier oder fünf knallhart aussehenden Männern, grimmig, fromm und fügsam, in einer Reihe.
    Dane stand da wie ein hünenhafter Messdiener. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen bewegten sich. Das Licht war gedämpft, und überall lauerten Schatten.
    Der Teuthex predigte auswendig. Die Worte glitten vom Englischen ins Lateinische, in Geheimsprache, in eine Sprache, die sich anhörte wie Griechisch, hin zu sonderbar schlüpfrigen Silben, vermutlich Traumbilder einer längst untergegangenen Sprache oder das erfundene Gemurmel der Kalmarhirten, weiter zu Atlantisch, Hyperboreisch, der angeblichen Sprache von R'lyeh. Billy hatte Ekstase erwartet, die fieberhafte Hingabe der Verzweifelten, die in Zungen oder Tentakeln sprachen, aber diese Inbrunst - und es war Inbrunst, er konnte die Tränen sehen, die gerungenen Hände der Frommen - war kontrolliert. Das Aroma, das dieser Sekte anhaftete, war pastörlich, uncharismatisch, ein Anglo-Katholizismus der Molluskenanbetung.
    So eine winzige Gruppe. Wo waren die anderen? Der Raum an sich, die Sitzreihen an sich, sie hätten dreimal so viele Personen fassen können. War die Größe des Raums von jeher nur Folge überhöhter Erwartungen, oder

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