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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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verdient hat?“
    „Jeder Mensch verdient eine zweite Chance.“
    Meine kleine Insel befand sich irgendwo vor der Küste Venezuelas und war auf kaum einer Karte zu finden.
    Ich hatte einen Nachtflug bis Caracas erwischt, die Stewardessen sprachen spanisch und waren aufregend, der Film allerdings stinklangweilig. Computer waren an Bord nicht erlaubt, so vertrieb ich mir die Zeit damit, den nordatlantischen Sternenhimmel zu studieren.
    Nachdem ich mit einer wenig vertrauenerweckenden Fähre mein Reiseziel erreicht hatte, checkte ich in einer sympathischen und überraschend komfortablen kleinen Lodge ein, bezog mein Zimmer mit Meeresblick – mobile Flatrate inklusive – nahm ein paar Drinks auf der Veranda und schlenderte schließlich am Strand entlang.
    Ich stellte fest, dass alles genauso war, wie ich es mir vorgestellt hatte: Das Meer war so azurblau wie der endlose Himmel, die Sonne heiß, der Strand einsam und mit puderzuckerfeinem Sand bedeckt. Ich klemmte das Notebook, das ich mit reichlich Ersatzakkus ausgerüstet hatte, unter den Arm, zog die Turnschuhe aus und watete durch die sanft auslaufenden Wellen. Am Horizont glaubte ich, auf- und untertauchende Walflossen ausmachen zu können. Ich war angekommen.
Paradise now!
    Trotzdem beschlich mich beim Gedanken an die andere Seite der Erdkugel eine hartnäckige Melancholie. Ich gestand es mir nicht ein, aber die Wahrheit ist, dass ich bereits jetzt Heimweh hatte.
    Ein Stück weiter fand ich einen schattigen Platz, an dem ich es riskieren konnte, den Computer aufzuklappen und den Surfstick einzustecken. Ich wartete einen atemlosen Moment lang ab, dann atmete ich hörbar auf. Die Verbindung stand ohne Schwierigkeiten. Ich loggte mich bei international-seagull ein, doch es war noch nichts für mich eingetroffen. Lustlos verschaffte ich mir einen Überblick über den lokalen Verbindungsstatus, der durchaus befriedigend ausfiel, klappte das Notebook schließlich zu und streckte mich im warmen Sand aus. Die Sonne hatte ihren Zenit fast erreicht. Da ich seit fast sechsunddreißig Stunden nicht geschlafen hatte, fielen mir sofort die Augen zu. In Deutschland begann bereits der Abend …
    „Vermisst du ihn?“
    Also doch. Selbst an diesen entlegenen Ort war sie mir gefolgt, und in diesem Augenblick der Einsamkeit war ich fast dankbar dafür. Ich öffnete die Augen nicht, trotzdem konnte ich sie sehen. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie in die Szenerie passte, als habe sie nie irgendwo anders hingehört. Vielleicht war sie es sogar, die mich hierhergeführt hatte ...
    In einem Anflug von Panik riss ich die Augen auf. An Mayas ruhiger Präsenz hatte sich nichts geändert.
    „Wen?“
    „Deinen Shrink.“
    Der Gedanke an Dr. Elvert war zu schmerzhaft, um darauf zu antworten.
    „Es geht ihm sehr schlecht deinetwegen. Du solltest dich bei ihm melden.“
    „Wie stellst du dir das vor? Denkst du, ich habe all das auf mich genommen, damit ich sie jetzt wieder auf meine Spur führe?“
    „Du wirst schon einen Weg finden. Na los, Skywalker, lass uns schwimmen gehen. Das wird dich auf andere Gedanken bringen und deinen Jetlag verschwinden lassen, glaub mir!“
    Die SMS erreichte Karin Kutschers Handy um die Mittagszeit, doch es vergingen einige Stunden, bis sie dazu kam, sie zu lesen.
    Das Fortbildungsseminar war anspruchsvoll und der Zeitplan bis ans Limit vollgepackt, also befand sie sich bereits wieder im Zug, auf der Rückfahrt von Hannover, als sie endlich Zeit dazu fand, ihre Handy-Nachrichten durchzugehen. Nachdem sie Gustav Elverts wenige zusammenhangslose Worte gelesen hatte, wünschte sie jedoch, sie hätte es früher getan. Augenblicklich versuchte sie ihn zu erreichen, sowohl mobil als auch auf dem Festnetz, jedoch ohne Erfolg. Sie hinterließ eine Nachricht und hatte für den Rest der Fahrt keine Ruhe mehr.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit traf der ICE im Stuttgarter Hauptbahnhof ein. Es war dunkel und kalt, Karin Kutscher warf ihre kleine Reisetasche ins erstbeste Taxi und ließ den Fahrer durch die City und dann die Böblinger Straße hinaufrasen. Ecke Möhringer Landstraße / Wallgraben stieg sie aus, gab dem entnervten Fahrer ein großzügiges Trinkgeld und ging das kurze Stück bis zu dem kleinen, senfgrün gestrichenen Haus.
    Sie klingelte mehrmals im oberen Stockwerk, es wurde aber nicht geöffnet. Schließlich versuchte sie es mit der Praxisklingel, woraufhin der automatische Türöffner ansprang. Sie betrat die Praxis, die dunkel und ausgestorben vor

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