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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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Dienstjahren der Mitfühlendste und am wenigsten Abgebrühte des gesamten Bezirks war. „Habt ihr inzwischen was?“
    „Nichts, soweit. Für heute haben die Taucher abgebrochen. Wir suchen morgen noch mal, aber schlimmstenfalls kann es Frühling werden, bis wir sicher sind. Die Seen da oben sind tückischer, als man glaubt – das sind keine Pfützen.“
    „Du hältst mich doch auf dem Laufenden?“
    „Habe ich eine Wahl?“ Der Niederländer lachte gutmütig, dann wurde er ernst. „Hast du’s ihr schon gesagt?“
    Martin Beier schüttelte den Kopf. Der Gedanke war unangenehm genug, um ihn ganz schnell wieder wegzuschieben. Doch da war noch etwas anderes. Ein Gefühl, zu unbestimmt, um es mit dem Kollegen zu teilen. Er schwieg.
    „Und die andere Sache?“
    „Hör bloß auf! Ist eine Riesensauerei, das Opfer im Koma, Identität noch nicht geklärt und steckt wahrscheinlich bis über die Ohren selbst mit drin. Auch wenn er was sagen könnte, würde er’s wahrscheinlich nicht tun. Wenn wir Glück haben, finden wir ihn in der Kartei. Drogen, Waffen, Prostitution – keine Ahnung, aber da waren Profis am Werk. Haben kaum Spuren hinterlassen. Der Wohnungseigentümer ist auf Dauerurlaub auf den Kanaren, Vermietung Fehlanzeige. Spätestens am Montag sollen sich die Jungs von der organisierten Kriminalität darum kümmern. Das ist nicht mein Gebiet.“
    Henk van Buyten zog die Stirn in Falten. Er sprach es nicht aus, doch Martin Beier wusste auch so, was er dachte. Aufgrund der chronisch katastrophalen Personalsituation konnte es leicht doch zu seinem Gebiet werden. Es wurde verdammt Zeit, dass die Landesregierung etwas für die Attraktivität des Polizeiberufs in der öffentlichen Wahrnehmung tat!
    Unmittelbar nachdem er nach Hause gekommen war, schluckte Martin Beier entgegen ausdrücklicher ärztlicher Anweisung zwei Aspirin, mit dem Erfolg, dass die Kopfschmerzen zwar besser, die Magenschmerzen dafür umso schlimmer wurden. Dann drückte er auf die Wiedergabetaste des Anrufbeantworters. Es war nur ein Anruf darauf, doch der trug nicht dazu bei, dass es ihm besser ging. Er kam von Susanne. Sie machte sich ernsthafte Sorgen, da Eva wieder mit diesem „Rocker“ unterwegs sei.
    Resigniert fragte Martin Beier sich, warum sich an diesem Tag scheinbar alles gegen ihn verschworen hatte.

21
    „Mama, wo ist denn Thomas?“
    Judith Günther stand am Fenster und blickte hinunter auf die Cannstatter Straße. Da es Sonntag war, standen die Autos nicht wie sonst in einer endlosen, stinkenden Schlange Richtung Bad Cannstatt, sondern tröpfelten vorbei wie aus einem undichten Wasserhahn. Seit dem frühen Morgen stand sie schon so da, mit Ausnahme der Zeit, in der sie Nina geweckt, angezogen und ihr Frühstück gemacht hatte. Auch während sie antwortete, drehte sie sich nicht um. Sie wollte nicht, dass ihre Tochter ihre feuchten Augen sah.
    „Er kommt bestimmt bald wieder, Schatz.“
    „Das hast du gestern auch schon gesagt.“
    Es war sinnlos. Einem aufgeweckten Kind wie Nina konnte man nichts vormachen. Den gesamten Samstag über hatte Judith es wenigstens noch geschafft, sich selbst halbwegs davon zu überzeugen, dass sein plötzliches Verschwinden nichts zu bedeuten hatte, dass er vielleicht einfach ein bisschen Freiraum brauchte, mit einem Kumpel um die Häuser gezogen war und sich nur irgendwo ausschlief … Doch am Abend hatte sie – warum auch immer – die Nachttischschublade aufgezogen und seine Brieftasche und Armbanduhr darin gefunden. Und den Ring. Sie wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, aber sie ahnte, dass es nichts Gutes war. Und es schien nicht darauf hinzudeuten, dass sie ihn bald wiedersehen würden. Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab und überlegte, wie sie das ihrer Tochter beibringen sollte. Wie sollte sie mit all ihren Fragen umgehen, die sie nicht beantworten konnte, vielleicht niemals würde beantworten können? Während sie noch dastand und dem Kind zusah, wie es auf dem Wohnzimmertisch kleine bunte Papiersterne ausschnitt, klingelte das Telefon.
    Judith Günther zuckte zusammen.
    Sie hatte mit allem Möglichen gerechnet, jedoch nicht mit der Geschichte, die ihr in aller Kürze übermittelt wurde. Den Hörer umkrampft rang sie um Fassung, stützte sich an der Garderobe ab, zwang sich dazu, ruhig und gelassen zu klingen. Unter keinen Umständen würde sie zulassen, dass ihr Kind traumatisiert wurde! Was Nina erlebt hatte, war so schon schlimm genug. Judith Günther bedankte sich, hängte

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