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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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Marienhospital. Der behandelnde Arzt hat versprochen, dass er Lamprecht für ein paar Minuten vernehmungsfähig bekommt. Drück uns die Daumen. Dass er was sagt, ist im Moment unsere beste Option. Und ruf mich sofort an, falls ihr was findet!“
    Die Vernehmung von Thomas Lamprecht war insgesamt eine Enttäuschung. Er war zwar ansprechbar, stand jedoch unter starken Medikamenten. Auf Lukas Stegmann angesprochen erzählte er eine wirre und zusammenhanglose Geschichte, in der Figuren aus der Star-Wars-Saga ebenso auftauchten wie ein offensichtlich sadistisch veranlagter Vater. Für Martin Beier reine Phantasiegebilde eines getrübten Bewusstseins. Ansonsten fragte Lamprecht pausenlos nach seiner Frau. Zu den konkreten Umständen des Angriffs auf ihn konnte oder wollte er sich nicht äußern. Er habe nichts sehen können, man habe ihm die Augen verbunden, es seien mehrere gewesen, und da sei nichts, was er ihnen habe geben können. Noch immer schien er überzeugt davon zu sein, dass er die Sache nicht überleben würde, und Martin Beier sah sich zu seinem Erstaunen dazu veranlasst, dem Patienten Mut zuzusprechen.
    Gerade als er es schon aufgeben wollte, und kurz bevor der Arzt ihn aus dem Zimmer warf, richtete Thomas Lamprecht sich jedoch plötzlich auf.
    „Dieser … Lukas … was ist mit ihm?“
    „Er ist verschwunden. Bisher deutet alles auf Suizid hin.“
    Dann bekam Martin Beier den möglicherweise einzigen brauchbaren Hinweis.
    „Prick“, flüsterte Thomas Lamprecht fast unhörbar, und wieder war nicht eindeutig klar, ob er den Bezug zur Realität oder einer weiteren Traumsequenz herstellte. „Sie haben einen von ihnen Prick genannt …“

23
    In den acht Tagen, die ich mich nun bereits in meiner neuen Heimat befand, hatte sich eine Art wohltuender Routine eingestellt. Ich schlief in den angenehm kühlen Nächten tief und traumlos vor den weit geöffneten Türen, die auf meinen kleinen Balkon führten, bis die Sonne das Zimmer aufheizte und mich an den Strand trieb. Das Rauschen der Wellen und der atemberaubend funkelnde Himmel waren meine nächtlichen Begleiter und bewirkten, dass sich eine innere Ruhe einstellte, die ich seit Jahren nicht mehr gekannt hatte. Meine Hand war erstaunlich schnell abgeheilt, und ich genoss die wiedererlangte Freiheit, alle zehn Finger über die Tastatur fliegen zu lassen.
    Nach einem ausgiebigen Frühstück an dem gut sortierten Buffet in der Lodge wanderte ich, mit einem Sandwich und einer Flasche Wasser bewaffnet, über den einsamen Strand, meist zu einer kleinen Bucht, die windgeschützt und schattig war, jedoch einen einzigartigen Ausblick über die Insel bot. Dort klappte ich mein Notebook auf und blieb oft bis weit nach Sonnenuntergang, bis die Displaybeleuchtung schlappmachte und mir die Akkukapazität unmissverständlich klar machte, dass es Zeit war, schlafen zu gehen.
    Die meiste Zeit verbrachte ich damit,
NORT
weiterzuentwickeln, manchmal recherchierte ich über Karl Koch und Boris F., ab und zu ging ich schwimmen, um mich abzukühlen. Oft leistete Maya mir Gesellschaft. Der Schlaf und die Ruhe bewirkten, dass sich meine Energiereserven wieder aufluden und meine Konzentrationsfähigkeit sich in erfreulicher Weise steigerte. Ich war erstaunt darüber, dass die Anzahl der Rekursionen sich weiter erhöhen ließ und die Abstürze seltener wurden, auch wenn mir klar war, dass ein entscheidendes Puzzleteil noch immer fehlte.
    Trotzdem hatte sich etwas verändert. Ich machte mir keine Gedanken darüber, was passieren würde, hielte ich eines Tages tatsächlich ein fertiges Produkt in Händen. Wie in den ersten Tagen war es wieder nichts als eine intellektuelle Spielerei, die mich beschäftigte und von trübsinnigen Gedanken ablenkte. Von den Gedanken an die Menschen, die ich liebte und denen ich – darüber machte ich mir keine Illusionen – großen Schmerz zugefügt hatte. Aber ich hatte losgelassen. Ich war zu meinen Wurzeln zurückgekehrt.
    Außer für die Unterkunft und etwas zu essen brauchte ich kaum Geld, auch wenn sich auf meinen diversen Konten, die ich online verwaltete, mehr als genug davon befand. Kontakt zu anderen Menschen, Urlaubern oder Einheimischen, suchte ich nicht. Ich genoss mein Einsiedlerdasein, lebte mit den Erinnerungen und ohne Zukunft. Ralf hielt mich über international-seagull auf dem Laufenden darüber, was sich in meiner alten Heimat tat. Er hatte den Artikel für den
Chronos
fast fertig, und sie hatten bereits signalisiert, dass sie ihn

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