Der Kranich (German Edition)
bringen würden. Das war eine gute Nachricht. Eva war wieder mit Kalle zusammen, und mit etwas Glück schaffte ich es sogar, an Informationen über Darth Vader zu gelangen. Er hatte die Sache immerhin überlebt.
Nur von Dr. Elvert wusste ich nichts. Und an ihn dachte ich sehr oft.
Seufzend tippte ich eine letzte Zahlensequenz ein. Die Sonne stand schon tief, und ich wollte vor Einbruch der Dunkelheit noch einmal schwimmen gehen. Gedankenverloren sah ich einem Schwarm Möwen nach, der seine Runden über der Küste zog, sich verändernde Formationen bildete und schließlich auf einer Klippe landete. Die Schreie der Vögel übertönten die Brandung, die Hitze flimmerte über dem Strand, und der Sand rieselte durch meine Finger wie durch eine Eieruhr. Ich beobachtete den Monitor nicht, der kleine Rechner vor mir tat das Einzige, was er tun konnte: er rechnete.
Und ganz plötzlich, völlig unvermittelt und mit einer Klarheit, die mich fast erschreckte,
konnte ich es sehen
. Es war, als starre man Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr auf ein Suchbild, und urplötzlich aus heiterem Himmel sehe man
das Bild darin
. Nichts hat sich verändert, nichts ist da, was vorher nicht da gewesen wäre, und doch ist das, was man sieht, nicht mehr dasselbe. Und es wird niemals mehr dasselbe sein.
Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Es war kein fehlendes Puzzleteil. Es waren längst alle Teile da! Es war die
Ganzheit
, die gefehlt hatte, das Bewusstsein, dass es kein noch so kleines Element im Netzwerk gab, das nicht mit jedem anderen in Verbindung stand! Die Objekte stimmten, aber die Art, wie sie interagierten, stimmte nicht.
Es war längst dunkel um mich herum, als ich im schwächer werdenden Schein der Displaybeleuchtung die letzten Befehle in einer scheinbar endlosen Kette eingab. Ich hoffte, dass der Akku noch ein kleines bisschen länger durchhalten würde, und stellte meinem Programm die entscheidende Frage.
Ohne Absturz und innerhalb von Sekunden spuckte der Rechner die Antwort aus.
Ich vergaß zu atmen.
Marvin Minsky hatte recht.
Intelligenz war unabhängig von der Trägersubstanz.
NORT
würde den Turing-Test bestehen!
Der Artikel erschien als Titelstory. Er schlug ein wie eine Bombe, bescherte dem
Chronos
eine Traumauflage, mehreren Providern Hausdurchsuchungen und Ralf den Schock seines Lebens.
Nachdem er die neue Ausgabe am Morgen vor der Arbeit an einem Kiosk erstanden und einen kurzen Blick hineingeworfen hatte, war er kaum noch in der Lage, einen Schraubenzieher zu halten. Christos Pandakis sah sich das kopfschüttelnd ein paar Stunden lang an und schickte ihn mittags nach Hause.
Mühsam wimmelte Ralf seine besorgte Mutter ab, die ihm unglücklicherweise auf der Treppe begegnete und der felsenfesten Überzeugung war, wenn er nicht bei der Arbeit sei, müsse er ernsthaft krank sein. Inzwischen glaubte er es fast schon selbst.
Er schloss die Tür hinter sich ab, warf sich aufs Sofa und überflog den Artikel, der von ihm hätte sein sollen, es augenscheinlich jedoch nicht war. Oder nur in Teilen. Entsetzt fragte er sich, woher der Rest kam und ob so etwas juristisch einwandfrei sei. Noch bevor er den Gedanken, Eva anzurufen, zu Ende gedacht hatte, klingelte es and der Tür. Normalerweise hätte er nicht geöffnet, doch sein siebter Sinn sagte ihm, dass sie es war.
Seit Lukes Abtauchen hatten sie sich einmal kurz gesehen. Ihr schwedischer on / off-Freund war dabei gewesen, und es war Ralf nicht allzu schwer gefallen, für sich zu behalten, was er wusste. Vielleicht würde das an diesem Tag schwieriger werden, doch es hatte keinen Sinn, sich vor dem Gespräch zu drücken. Er stand auf und öffnete die Tür.
Wie nicht anders zu erwarten, hielt Eva den
Chronos
bereits in der Hand. Sie stürmte ins Wohnzimmer, warf die Zeitschrift auf den Tisch und blickte ihn mit blitzenden Augen an.
„Der Fall Luke Skywalker – Mord oder Selbstmord eines Hackers. Wie viel Verantwortung trägt der Internetanbieter?“
, zitierte sie den Aufmacher. „
Von Ralf Albin und Michael Sieber.“
Kannst du mir erklären, was das zu bedeuten hat?“
„Ich hab es schon gelesen. Jetzt beruhige dich erst mal und setz dich hin. Ich mach uns einen Kaffee.“
Als Ralf aus der Küche zurückkam, blickte sie von dem Text, in den sie sich vertieft hatte, auf und sah ihn zwar etwas ruhiger, doch weiterhin herausfordernd an. „Wer, verdammt, ist Michael Sieber?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Willst du mich
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