Der Kranich (German Edition)
kolumbianisches Kokain. Beides kannst du nicht beschaffen. Also könnte ich dir nach den Regeln des Geschäfts unbesehen die Birne wegpusten.“
„Ich hab den Mund gehalten und meine Zeit abgesessen, Barranquilla, damit du weiterhin dein Luxusleben genießen kannst. Soll ich dir erzählen, was sie mir angeboten haben, wenn ich dich verpfeife?“
„Du weißt aber auch, dass deine kleine Freundin dann nicht mit ein paar blauen Flecken davongekommen wäre … Aber, da ich kein Unmensch bin und schon immer eine sentimentale Schwäche für dich hatte, und da du zwei Jahre lang gute Arbeit geleistet hast, bis dir dieses … Missgeschick passiert ist, bin ich bereit, dir eine zweite Chance zu geben.“
„Heißt im Klartext?“
„Ich brauche nach wie vor einen fähigen Mittelsmann. Es ist ja so ungeheuer schwer, verlässliches Personal zu bekommen! Du machst genau da weiter, wo du aufgehört hast und arbeitest deine Schulden ab. Das ist mein Angebot.“
„Nein, danke.“
„Okay. Deine Entscheidung. Aber dann muss ich auf meiner Forderung bestehen. Wir können das gleich hier erledigen, oder bei dir zu Hause – ganz wie du willst.“
Wie auf Kommando öffnete sich eine Schiebetür, und die beiden albernen Bodybuilder näherten sich auf theatralische Weise. Es war nicht zu übersehen, dass sie sich zu Tode langweilten und ihrem Einsatz regelrecht entgegenfieberten. Thomas Lamprecht spürte, wie sich kleine, feuchte Tropfen auf seiner Stirn bildeten und musste seine gesamte Konzentration aufbieten, um sich nicht an den Rasierklingen, die er noch immer in den Hosentaschen umklammert hielt, zu schneiden.
„Warte, Barranquilla. Ich hab dir auch ein Angebot zu machen.“
„Ich höre?“
„Ich bin da an einer ganz heißen Sache dran. Ich brauche nur ein kleines bisschen Zeit – sagen wir vier Wochen –, dann kriegst du dein Geld mit Zins und Zinseszins zurück!“
„Geht’s etwas konkreter?“
„Ich kann noch nicht darüber reden, aber du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich keine hohlen Phrasen dresche. Wenn ich sage, ich beschaffe das Geld, dann beschaffe ich es auch. Wenn du mich oder meine Familie fertigmachst, hast du doch im Endeffekt nichts davon, oder?“
Barranquilla leerte sein Glas und seufzte. „Was bin ich nur für ein sentimentaler Idiot! Du hast exakt drei Wochen. Von heute an. Danach stirbt jemand.“ Er stellte sein Glas auf die Bar zurück. „Meine Herren, würden Sie unseren Gast bitte zum Ausgang geleiten?“
Mr. Yes und Mr. No ließen ihre finsteren Mienen wieder hinter ihren dunklen Sonnenbrillen verschwinden und schickten sich an, der Aufforderung ihres Chefs nachzukommen.
Wie dressierte Affen, dachte Thomas Lamprecht auf dem Weg die Auffahrt hinunter und unterdrückte das Bedürfnis, einem von beiden eine Rasierklinge quer durchs Gesicht zu ziehen.
Es wäre sinnlos gewesen.
Gut gelaunt schloss Ralf die Tür seines Dachappartements in der Kaindlstraße von außen ab, lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, die drei Treppen hinunter, sprang in seinen blankpolierten Kadett, gab Gas und warf sich auf den Schattenring. Unterwegs zog er das iPhone aus der Hosentasche und tippte, wie bereits mehrmals an diesem Tag, Lukes Nummer an. Erwartungsgemäß meldete sich die Mailbox. Da es wieder unwirtlich kalt war an diesem frühen Samstagabend, war kaum Verkehr auf der Straße, und nach einer knappen Viertelstunde war er im Westen. Erstaunlicherweise fand er sogar auf Anhieb einen Parkplatz und stürmte, nachdem der Türöffner gesummt hatte, wieder zwei Stufen auf einmal nehmend, die fünf Stockwerke hinauf. Oben angekommen lehnte er sich japsend gegen die Wand. Es half nichts – er brauchte dringend eine Diät und regelmäßiges Training! Während er die Wohnungstür hinter sich schloss, versuchte er, nicht allzu neidisch auf die asketische Veranlagung und den entsprechenden Körperbau seines besten Freundes zu werden. Nein, das wäre wirklich nicht fair, Luke hatte dafür genug andere Probleme.
Er fand ihn wie üblich in der Mitte des Zimmers auf dem Boden vor dem Notebook kauernd, augenscheinlich in völliger Selbstvergessenheit, als meditiere er oder befinde sich in Kontemplation einer Gottheit. Gedämpft drang Straßenlärm durch ein halb geöffnetes Fenster, und Ralf wurde bewusst, dass es eiskalt im Zimmer war. Er schloss das Fenster und drehte die Heizung an, dann trat er leise hinter Lukas und blickte über seine Schulter. Es ließ sich nicht leugnen, dass er, seit er
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