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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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schaltest sie einfach ab. Außerdem kannst du die gesamte SIM-Karte runterlesen. Jedes verdammte Script-kiddie kann das machen.“
    „Gilt das für alle Netzbetreiber?“
    „Alle gleich.“
    „Und ist das Problem schon bekannt?“
    „Seit Kurzem. Aber natürlich wird wieder mal nicht reagiert.“
    „Warum nicht?“
    „Dreimal darfst du raten.“
    „Na gut. Beeindruckende Demonstration, zugegebenermaßen. Bisher bist jedoch ausschließlich du derjenige, der hier Leute ausspioniert.“
    „Du weißt verdammt gut, dass ich das nicht zum Spaß mache. Auf jeden Fall sollten wir, solange dein Handy nicht gesichert ist, auf diesem Weg keine sensiblen Themen mehr austauschen. Damit meine ich jetzt nicht die Koordination von DDoS-Angriffen.“
    „Ich weiß schon, was du meinst.“
    „Trons Cryptophon ist inzwischen zwar auf dem Markt, aber noch zu unrealistischen Preisen. Ich wäre in guter Gesellschaft, so viel ist sicher.“
    Ralf bemerkte, wie sich langsam, aber unaufhaltsam ein flaues Gefühl in seiner Magengegend ausbreitete. „Hey, entspann dich, okay? Ich dachte, du hättest es endlich aufgegeben, dich mit diesen Mythen zu beschäftigen. Dass es Mord war, ist nicht erwiesen, und das wird wohl auch niemals geklärt werden. Bei Hagbard Celine ebenso wenig. Die offizielle Version ist immer noch Suizid.“
    Für einen Moment wanderten Ralfs Gedanken ab. Jeder, der schon einmal einen funktionsfähigen Exploit geschrieben hat, ist sich der Tatsache bewusst, dass das, was er tut, sehr schnell sehr gefährlich werden kann, wenn er sich dabei mit den falschen Leuten anlegt. Im Extremfall sogar lebensgefährlich. Karl Koch, der als „Hagbard Celine“ in den achtziger Jahren mit dem KGB-Hack in die internationalen Schlagzeilen geriet, war sicherlich das prominenteste Beispiel dafür. Knapp ein Jahrzehnt später bot der Tod des Sprachverschlüsselungsexperten Boris F., alias Tron, der sich mit einem großen Pay-TV-Sender angelegt hatte, Anlass zu Kontroversen. Ralf hatte in den langen Diskussionen, die er mit Lukas über dieses Thema geführt hatte, niemals bestritten, dass es schlüssige Argumente dafür gab, den unterstellten Freitod in beiden Fällen zumindest anzuzweifeln, doch er lehnte Spekulationen prinzipiell ab, und den Beweis war auch Lukas bislang schuldig geblieben.
    „Das glaubst du doch nicht im Ernst?“
    „Es geht nicht darum, was
ich
glaube, Luke.“
    Lukas’ Blick war starr aus dem Fenster gerichtet, seine Stimme klang monoton. „Hagbard Celine wurde ebenso sicher ermordet wie Tron, und irgendwann werde ich das auch beweisen, aber zuerst …“
    „Ja. Zuerst solltest du dieses Quine zum Laufen bringen. Dein Ansatz ist einfach zu gut, um es anderen zu überlassen. Wenn du das schaffst, kann Bill Gates einpacken!“
    Es sollte ein Scherz sein, doch während er sprach, wurde Ralf kreideweiß, und er hatte plötzlich das Gefühl, sich übergeben zu müssen.

5
    Im Stadtbezirk Wangen, eingekeilt zwischen Kraftwerk und Großmarkt, im Schatten des übermächtigen Nachbarn Daimler-Chrysler, befand sich ein eher unscheinbarer roter Backsteinbau. Kein Firmenlogo und auch sonst kein Indiz ließ darauf schließen, dass das dreigeschossige Gebäude elektronische Infrastruktur im Wert eines mehrstelligen Millionenbetrages beherbergte, und das war auch so gewollt. Nur Eingeweihten war bewusst, dass sich hinter der nichtssagenden Fassade der Hauptsitz des ehrgeizigsten deutschen Softwareunternehmens der vergangenen Dekaden befand.
    Die Nebensitze in Karlsruhe und Heilbronn eingeschlossen, verfügte die seit Kurzem börsennotierte Avaleet AG über knapp fünfhundert hochmotivierte Mitarbeiter, die entschlossen waren, die nationale Marktführung im umkämpften Spielsegment zu übernehmen – wenngleich die Zahlen augenblicklich eine etwas andere Sprache zu sprechen schienen. Aufgrund des schlechten Marktumfeldes durch die starken Kurseinbrüche infolge der globalen Finanzkrise, hatte sich das IPO im Nachhinein als wahres Himmelfahrtskommando herausgestellt und fast zehn Prozent des Emissionswertes verschlungen. Personelle Differenzen im obersten Management hatten das operative Geschäft zusätzlich zur ungünstigen politischen Situation beeinträchtigt und fast zum Kollabieren gebracht. Kernpunkt der Auseinandersetzung zwischen dem Vorstandsvorsitzenden Gerhard Weber und seinem Stellvertreter Mario Pross war die Frage der Börsenreife. Pross, ein Deutsch-Amerikaner mit Microsoft-Vergangenheit, hatte seinem Chef in

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