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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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Lukas legte die Stirn in Falten und dachte einen Moment nach, dann zog er einen Kugelschreiber aus der Tasche und kritzelte ein paar Programmzeilen auf seine Serviette, die er mit dem Hashtag
#code
abschloss. „So was zum Beispiel.“
    Zweifelnd betrachtete Ralf die Zeichenfolge. „Ein Tweet ist das aber nicht – das sind mindestens 500 Zeichen.“
    „Ich weiß. Das braucht es schon, um den Core-Algorithmus anzudeuten. Dann eben eine Tweet-Serie. Ist nicht elegant, aber die Anons machen das auch schon mal, wenn’s sein muss.“
    „Warum postest du den Code nicht bei Pastebin und twitterst nur den URL?“
    „Nein. Die Sequenz muss auf einer massentauglichen Plattform direkt zugänglich sein, nicht verlinkt. Nicht in diesem Fall!“
    „Wenn du meinst. Und wer sollte ausgerechnet bei Twitter nach so was suchen, wenn ich fragen darf?“
    Für Ralf war es immer noch ein Spiel, doch Lukas wurde plötzlich todernst.
    „Das Netz ist voll von Leuten, die nach jeder erdenklichen Information suchen.“
    „Na klar, dafür ist das Netz ja da, und deshalb besitzt Google die Lizenz zum Gelddrucken …“
    Lukas schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht. Die Informationen, von denen ich spreche, findest du nicht über Suchmaschinen. Sie sind aber überall.
Zwischen
den Zeilen. Genau wie die Leute, die danach suchen …“
    Ralf legte den Rest seines Brötchens auf den Teller zurück und wischte sich die Hände an der Jeans ab. Er hatte plötzlich keinen Hunger mehr. „Luke …“
    „Fang jetzt bitte nicht wieder mit deiner Paranoia-Tour an. Oder willst du mir vielleicht Nachhilfeunterricht in virtuellen Reisen geben?“
    „Nein, natürlich nicht.“
    „Das ist ein Schattenreich, glaub mir. Ich habe Dinge gesehen, von denen träumst du nicht mal.“
    „Das mag ja alles sein. Trotzdem klingt das ziemlich verrückt. Glaubst du im Ernst, dass du auf die Art einen Käufer findest?“
    „Hast du eine Ahnung! Was denkst du, wie Karl Koch damals den KGB-Agenten aufgetrieben hat?“
    „Nicht über Twitter jedenfalls. Soviel ich weiß, sind sie einfach in die sowjetische Botschaft reinspaziert.“
    „Der Punkt ist, dass die Jungs den Russen etwas unter die Nase gehalten haben, dem die nicht widerstehen konnten. Wenn ich jemals einen Käufer suchen sollte – was nicht der Fall sein wird –, würde ich es so machen.“
    „Meinetwegen. Kontaktaufnahme?“
    „Handy. Für den Zweck ist das alte Telefon allemal noch gut genug.“
    „Okay. Und der Preis?“
    „Eine Million.“
    „Dollar?“
    „Euro.“
    Lukas zerknüllte die Serviette und schob sie in die Hosentasche. Wenig später bezahlten sie und verließen das Lokal. Dass die Serviette kurz vor der Eingangstür wieder aus Lukas’ Tasche rutschte und auf den Boden fiel, bemerkten sie nicht.
    Ein hagerer Mann, der am Nebentisch in eine Zeitung vertieft war, bemerkte es jedoch sehr wohl. Er legte die Zeitung beiseite, stand auf und begab sich zu den Toiletten. Unterwegs hob er unauffällig die Serviette auf und ließ sie in seine Jackentasche gleiten.
    Thomas Lamprecht umkrampfte mit zitternden Händen die Glaspfeife. Er sog den weißen Rauch tief in die Lungen und wartete, bis die Welle jedes Gefühl fortgerissen hatte. Was blieb, war die Welle selbst, bis auch diese langsam abklang und schließlich verebbte. Benommen lehnte er sich gegen die kühle, gekachelte Wand, zog die zerknitterte Papierserviette hervor und starrte auf die Zeichensequenz, die darauf gekritzelt war. Kaum zu glauben, dass dieses Stück Müll das wahrscheinlich Kostbarste war, was er jemals in Händen gehalten hatte. Endlich, zum ersten Mal in seinem Leben, waren ihm die Sterne gewogen!
    Eine Stunde zuvor, als der Hübsche mit seinem Freund aus dem Haus gekommen war, hatte er keine Sekunde gezögert, seinen schlechten Plan fallenzulassen und zu improvisieren.
    Es waren nur zusammenhanglose Gesprächsfetzen, die er vom Nebentisch aus aufschnappen konnte, doch die übertrafen alles, was er sich je erträumt hatte! Thomas Lamprecht zog sich einen weiteren Stein in die Lunge und geriet in eine Euphorie, die ihn jeden Bezug zur Realität verlieren ließ.
    Der Rest schien jetzt nur noch ein Kinderspiel zu sein.

8
    Ich saß vor dem Computer und versuchte mich auf die Isomorphien in formalen Systemen zu konzentrieren. Es gelang mir nicht. Also versuchte ich es damit, dass ich mit ihm sprach.
    „Der Mensch ist eine Interpretation der künstlichen Intelligenz“, sagte ich, doch eine Antwort blieb

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