Der Kranich (German Edition)
Magengegend erinnerte Martin Beier daran, dass er vergessen hatte, seine Medikamente zu nehmen. Er ging erneut in die Küche und spülte die Tabletten mit einem Glas Cognac hinunter. Gerade als er es sich wieder auf dem Sofa bequem gemacht hatte, klingelte es an der Tür. Überrascht blickte er auf. Es kam nicht allzu oft vor, dass er am Abend Besuch bekam, und er erwartete niemanden.
Noch überraschter war er, als seine Tochter vor ihm stand.
Sie versuchte es zu verstecken, doch mit den Augen des besorgten Vaters sah er sofort, dass sie geweint hatte. Er schaltete den Fernseher ab und setzte Teewasser auf. Seiner behutsamen Nachforschung begegnete sie ausweichend. Gewöhnlich war es nicht seine Art, intensiver nachzuhaken, doch in diesem Moment konnte er nicht anders.
„Sag mir, dass er dir wehgetan hat, und er verbringt die Nacht in einer Ausnüchterungszelle!“ Er meinte es ernst.
Eva lächelte. „Danke, Papa.“
Martin Beier stellte Tassen auf den Tisch, brühte den Tee auf und setzte sich zu seiner Tochter. „Und? Willst du mir was erzählen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Eigentlich hatte ich gehofft, dass du mir was erzählen würdest.“
„Was ich dir erzählen könnte, willst du nicht hören, glaub mir.“ Er war noch nicht bereit aufzugeben. Noch nicht ganz. „Ich hatte das Gefühl, dass dieser Lukas ein ganz vernünftiger Mensch ist, dass du mit ihm eine gute Wahl getroffen hast. Ich meine im Gegensatz zu diesem …“
„Mikael? Ja. Dachte ich auch. Aber er sieht das offensichtlich anders.“
„Es ist normal, dass man sich mal streitet. Das muss nicht das Ende einer Beziehung sein.“ Es klang entsetzlich banal, doch etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Die Rolle des Trösters war ungewohnt.
Seine Tochter schüttelte erneut den Kopf. „Nein. Es ist was anderes. Ich denke …
jemand
anderes.“
Der Tee war heiß und schmeckte scheußlich. „Ach so. Tja dann …“
Mehr gab es zu diesem Thema nicht zu sagen, und weil er ihr unappetitliche Bluttaten weiterhin ersparen wollte, entschieden sie sich nach der zweiten Tasse dafür, eine Runde Mühle zu spielen. Erleichtert beobachtete Martin Beier, wie seine Tochter sich zu entspannen schien. Sie spielten lange, und als sie sich schließlich verabschiedete, hielt er sie fest im Arm.
„Wow, das hätte ich dir wirklich nicht zugetraut. Respekt, Bro! Es ist gut, dass du diese leidige Sache zu Ende gebracht hast.“
In diesem Augenblick hätte ich ihr am liebsten das Notebook nachgeschmissen. Wie sie vor mir saß, von schwarzen Locken umhüllt wie von dunklen Wolken, triumphierend lächelnd die langen Beine übereinandergeschlagen, hasste ich sie.
„Zieh keine voreiligen Schlussfolgerungen, Maya. Es gibt nur einen einzigen Grund, warum ich das getan habe, und den kennst du.“
„Du schickst sie in die Arme eines gewalttätigen Alkoholikers, um sie zu beschützen? Im Ernst?“
„Kalle mag seine Fehler haben, aber ich kenne ihn. Er ist kein schlechter Kerl. Und er ist der Einzige, der sie jetzt beschützen kann.“
„Wenn du das glauben willst …“
„Ich weiß, dass sie bei ihm am besten aufgehoben ist, so wie die Dinge sich voraussichtlich entwickeln werden. Es würde ihr zu sehr wehtun …“
„Ach ja? Und wie werden sich die Dinge deiner Meinung nach entwickeln?“
„Keine Sorge, das erfährst du noch früh genug. Erzähl mir lieber etwas über Darth Vader.“
„Du wirst ihn schon sehr bald kennenlernen.“
Da das Gespräch sinnlos zu werden begann, beachtete ich sie nicht weiter, sondern wandte mich wieder meinem Bildschirm zu, auf dem sich eine Reihe von Konten verschiedener Kreditinstitute öffnete. Ich suchte mir diejenigen heraus, die am unverschämtesten mit Schwarzgeld vollgepackt waren und machte sie etwas leichter. Dann eröffnete ich ein neues Konto auf einer Insel mit unaussprechlichem Namen und startete meinen kleinen, nicht zurückzuverfolgenden Transfer. Der Insel gab ich der Einfachheit halber einen neuen Namen.
Für mich hieß sie ab sofort Fernando Poo.
11
Ralf schlug die Augen auf. Das fahle Licht, das durch die Lamellen der Jalousien fiel, sagte ihm, dass es noch früh am Morgen war. Er fragte sich gerade, was ihn geweckt hatte, als er erneut eine leichte Bewegung neben sich wahrnahm. Er drehte den Kopf, blickte in ein hinreißend hübsches, schlafendes Gesicht und lächelte. Diesmal hatte er keinerlei Schwierigkeiten, den vorangegangenen Abend und die Nacht zu rekonstruieren, und das, woran er sich
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