Der Krater
nicht gefallen, aber was zählte, war die Meinung des Missionsdirektors Charles Chaudry, der alles war, was Derkweiler nicht war.
Corso griff nach dem Bericht über Freemans Tod und überflog ihn. Er war in Polizei-Chinesisch geschrieben, mit Phrasen wie »der Täter verletzte das Opfer mit einer Garotte aus Klavierdraht, wodurch der Tod eintrat« und »der Täter durchsuchte die Räumlichkeiten und entfernte sich danach zu Fuß vom Tatort«. Während er las, mischten sich Traurigkeit und Entsetzen über Freemans gewaltsamen Tod mit einer gewissen Erleichterung darüber, dass es sich um ein willkürliches Verbrechen gehandelt hatte. Und sie hatten den Kerl erwischt – ein Drogensüchtiger, der nach Geld gesucht hatte. Die übliche traurige, sinnlose Geschichte. Mit einem schaudernden Gedanken an die Sterblichkeit des Menschen ließ er die Kopien sinken. Es hatte ihn schockiert, dass nur zwanzig Leute zu Freemans Beerdigung gekommen waren und er selbst der Einzige von der NPF gewesen war. Etwas so Trauriges hatte er selten erlebt.
Corso schüttelte diese morbiden Gedanken ab, wandte sich seinem Computer zu und öffnete die SHARAD -Daten. Dieses spezielle Bodenradar benutzte der MMO , um die Strukturen unter der Oberfläche des Mars aufzunehmen. Daran arbeitete er ununterbrochen den restlichen Tag lang, bereitete die Daten auf und verfeinerte die daraus entstandenen Darstellungen. Er hatte die Festplatte in seiner Wohnung, also konnte er zu Hause weiter an den Gammastrahlungsdaten arbeiten. Trotz zweier Sicherheitsaudits hatte noch immer niemand gemerkt, dass die Festplatte fehlte. Freeman hatte es irgendwie geschafft, sämtliche Sicherheitschecks und -maßnahmen zu umgehen. Falls der fehlende Datenträger auffallen sollte, hatte Corso schon einen Plan, wie er ihn sofort loswerden würde. Doch bis dahin war es ungeheuer nützlich, ihn zu Hause zu haben, wo er ungestört bis spät in die Nacht daran arbeiten konnte.
Mit dieser Entdeckung, so überlegte er, würde er Karriere machen.
9
W yman Ford betrat seine Suite im Royal Orchid und blieb dankbar im kühlen Luftstrom der Klimaanlage stehen, der aus einem Belüfter in der Decke mitten im Raum kam. Durch das gigantische Panoramafenster, das eine ganze Wand einnahm, konnte er die typischen Longtail-Boote auf dem Chao Phraya sehen. Jetzt, zur Mittagszeit, stand die Sonne im Zenit, und ein brauner Dunstschleier lag über der glühenden Stadt, der allem die Farbe entzog. Selbst nach den Maßstäben von Bangkok war es ein sehr heißer Tag.
Zuletzt war er vor vier Jahren in der Stadt gewesen, mit seiner Frau, kurz bevor sie ermordet worden war. Sie waren im Mandarin Oriental abgestiegen, in einer absurd extravaganten Suite mit geschickt plazierten Spiegeln, die … Er trampelte die Erinnerung nieder und zwang seine Gedanken, einen anderen Weg einzuschlagen. Sein Blick schweifte über die Stadt unter ihm und blieb an den Türmen des Tempels der Morgenröte hängen. In der toten, verschmutzten Luft sahen sie aus wie eine Ansammlung vergoldeter Zahnstocher, die aus einem braunen Nebelmeer aufragten.
Mit einem tiefen Seufzen ging er zum Safe, schloss ihn auf und holte seinen Laptop und ein ungewöhnliches USB -Kartenlesegerät heraus. Sobald der Computer hochgefahren war, nahm er die erste Visitenkarte, die er sich von Boonmee zurückgeholt hatte, und steckte sie in das Lesegerät. Auf seinem Bildschirm öffnete sich ein Fenster, und er lud den Inhalt des Mikrochips herunter, der in den dicken Karton der Visitenkarte eingearbeitet war. Er speicherte die Daten als Audiodatei und schickte sie per E-Mail nach Washington.
Fünfzehn Minuten später piepte der Mail-Eingang, und er öffnete die Datei in der Antwortmail.
Anruf bei Mobilfunknummer 855–0369–67 985
Standort des Empfängertelefons: Sisophon, Kambodscha
Registrierter Teilnehmer: Prum Forgang
Transkript des Gesprächs (Übersetzung aus dem Thai):
A: Hallo?
B: Hier spricht Boonmee Adirake. Ich wünsche dir Gesundheit und Wohlstand, Prum Forgang.
A: Es ist mir eine Ehre, deinen Anruf entgegenzunehmen, Boonmee Adirake.
B: Ich habe einen amerikanischen Kunden, der zehntausend Karat Honeys kaufen will.
A: Du weißt sehr wohl, dass ich so viel nicht beschaffen kann.
B: Lass mich das erklären. Dieser Mann trug einen gefärbten Topas bei sich, nicht einmal in einem Bleibehälter. Er weiß nichts. Er hat reiche Abnehmer, die Sache ist ein einmaliges Geschäft. Er ist ein Idiot. Wir könnten ihm alles Mögliche
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